Spanien übernimmt EU-Vorsitz: "Lateinamerika wird für EU-Länder immer wichtiger"

Von Otmar Lahodynsky

WIEN. Spanien übernimmt am 1. Juli dieses Jahres für sechs Monate den EU-Ratsvorsitz. Bei einem Pressebriefing für Mitglieder der „Association of European Journalists“ betonte Spaniens Botschafterin in

Österreich, Cristina Fraile, am 29. Juni die vier vom spanischen Ratsvorsitz angestrebten Prioritäten:

– Reindustrialisierung und Offene Strategische Autonomie (OSA)

– Maßnahmen für den „Grünen Wandel“ und Klimaschutz

– Mehr soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit

– Stärkung der europäischen Einheit.

Bei der von Spanien mit den Niederlanden schon 2021 vorgestellten „Offenen Strategischen Autonomie“ geht es darum, dass die EU ihre Partnerländer diversifizieren will, um nicht in Abhängigkeit einzelner Länder zu geraten. Dies sei in der Pandemie etwa bei Pharma-Produkten passiert. „Die EU will nicht zu einer „Festung Europa“ werden, aber engere Kontakte – auch in den Handelsbeziehungen – mit solchen Ländern, die mit der EU gemeinsame Werte und Prinzipien teilen, schließen“, so Fraile. Dazu soll ein informelles EU-Ratstreffen am 5. und 6. Oktober in Granada im historischen Alhambra-Palast stattfinden.

Beim Schwerpunkt „Soziales“ sollen Vorschläge für ein „inklusives Europa“, das niemanden ausgrenzt und benachteiligte Gruppen fördert, gemacht werden. So will Spanien einen EU-weiten Ausweis für „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ einführen, damit diese etwa in allen EU-Ländern besondere Vorteile genießen können, etwa auch bei Ermäßigungen für Verkehrsmittel, Theater und Museen.

Unter „Stärkung der europäischen Einheit“ fällt auch die Unterstützung für die Ukraine, Regelungen und Förderungen für die „next Generation EU“.

Spaniens EU-Vorsitz will auch die Staaten des Westbalkan (Albanien, Serbien, Montenegro, Nord-Mazedonien und den Kosovo) schneller zum EU-Beitritt heranführen, „um ein politisches Vakuum in der Region zu vermeiden“. Spanien erkennt den Kosovo aber als eigenen Staat noch nicht an und will dies erst dann tun, sobald Serbien diesen Schritt gesetzt hat.

Botschafterin Fraile sprach auch die Beziehungen der EU zur Türkei an, „die nach wie vor Beitrittskandidat“ ist, auch wenn in den vor einigen Jahren auf Eis gelegten Beitrittsverhandlungen keine neuen Kapitel eröffnet werden. Auch Menschenrechte und Demokratie seien für einen allfälligen Beitritt der Türkei zur EU eine wichtige Voraussetzung. Bei einem EU-Beitritt sind von allen Kandidaten die „Kopenhagener Kriterien“ in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Daten und Menschenrechte einzuhalten. „Da kann es für niemanden eine „fast track“-Überholspur geben“, so die Diplomatin.

Prioritär sind für Spanien die Beziehungen zu Lateinamerika. Am 17. und 18. Juli findet dazu ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs aus beiden Kontinenten statt, auf ausdrücklichen Wunsch Madrids in Brüssel, „weil Lateinamerika für alle EU-Länder als Partner immer wichtiger wird.“

Vor allem das seit 22 Jahren verhandelte Assoziationsabkommen mit den fünf Mitgliedsländern des „Mercosur“ (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela) müsse endlich in Kraft treten. „Es geht hier auch um die Glaubwürdigkeit der EU in globalen Verhandlungen“, erklärte Fraile. Österreichs Bundesregierung und der Nationalrat haben sich mehrfach gegen den „Mercosur“-Vertrag ausgesprochen, weil eine Schlechterstellung der österreichischen Landwirte befürchtet wird. Fraile verwies darauf, dass auch beim CETA-Abkommen zwischen EU und Kanada ähnliche Befürchtungen laut wurden, aber dann nicht eintraten.

Ähnlich sei es beim Mercosur-Abkommen. So sei der in EU-Ländern gefürchtete Anstieg von Fleischimporten aus Südamerika unbegründet. Auf jeden Österreicher entfalle laut Statistik nur ein  von dort importiertem Steak pro Jahr. Auf den Einwand eines Journalisten , dass es auch in der Türkei große Probleme mit Billigimporten von landwirtschaftlichen Produkten aus Lateinamerika gebe, verwies die Diplomatin auf ähnliche Ängste in den Mercosur-Ländern vor Importen aus der EU. „In manchen lateinamerikanischen Ländern machen sich Ängste breit, dass sie der EU zu viele  Zugeständnisse gemacht hätten.“ (Fraile) Insgesamt hätten Handelsabkommen aber für beide Seiten mehr Vor- als Nachteile. Beim Abkommen mit Süd-Korea hätten sich wegen des Anstiegs beim Warenverkehr auch die Transportkosten verringert, mit positiven Auswirkungen auf die Umwelt, weil die Container ohne Leerräume gefüllt sind.

Beim Klimawandel sei Spanien an raschen Maßnahmen interessiert, weil etwa die spanische Landwirtschaft zunehmend von Dürre heimgesucht werde. In Spanien gebe es große Investitionen in erneuerbare Energien, vor allem Sonnen- und Windenergie. So sei eine Pipeline für grünen Wasserstoff von Barcelona nach Marseille in Frankreich geplant.

Spanien habe bei der Migration viele Erfahrungen gesammelt und sei das einzige Land mit einer direkten Landgrenze zu Afrika in Ceuta und Melilla, zwei spanische Territorien bei Marokko.

Die EU sei mit dem kürzlich von den EU-Innenministern beschlossenen Asylpakt auf dem richtigen Weg. Raschere Entscheidungen über den Asylstatus von Migranten an den EU-Außengrenzen seien wichtig. Beim EU-Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag gab es aber keine Einigung zu neuen Asylvorschriften – wegen des Vetos aus Ungarn und Polen gegen eine finanzielle Beteiligung als Ersatz für die Aufnahme von Migranten.

Spanien sei auch an einem Beitritt von Rumänien und Bulgarien in die Schengenzone interessiert. Das von Österreich und den Niederlanden eingelegte Veto sollte bis Jahresende aufgehoben werden. Spanien sei hierzu zu Vermittlungen bereit.

Dass in Spanien am 23.  Juli ein neues Parlament und eine neue Regierung gewählt werden, stelle laut Botschafterin Cristina Fraile keine Gefahr für die EU dar, selbst wenn eine neue Regierung in Spanien die Macht übernehmen sollte. Die Prioritäten des EU-Vorsitzes seien mit allen EU-Mitgliedsländern und der EU-Kommission festgelegt worden.

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