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Himmel und Hölle

“Der Titel „Kulturhauptstadt Europas“ wird seit 1985 an Städte und Regionen in Europa verliehen. Erstmals in der Geschichte findet dies 2024 in einer inneralpinen, ländlich geprägten Region statt. Die Bannerstadt Bad Ischl plus 22 weitere Gemeinden in Oberösterreich und der Steiermark entwickeln eine Kulturregion, die sich durch das Zusammenwirken von Kunst, Kultur, Wirtschaft und Tourismus neu erfindet.”, so die förmliche Erklärung aus dem Salzkammergut.

Das offizielle Buch zur Europäischen Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 “Salz Seen Land” mit 60 Textbeiträgen namhafter Autoren ist eine lohnende Lektüre.  Herausgeberinnen sind Elisabeth Schweeger (Intendantin des Kulturhauptstadtjahres) und Julia Kospach.  Einen Beitrag zum Buch “Salz Seen Land” hat der Ehrenpräsident der Europäischen Journalisten und Autor Otmar Lahodynsky verfasst, den wir unter dem Titel Himmel und Hölle” gerne veröffentlichen.

 


Von Otmar Lahodynsky, Linz, 21.02.2024

Im Salzkammergut kam es zu mehreren, meist erzwungenen Auswanderungswellen. Zunächst wurden Protestanten nach Siebenbürgen deportiert, später wanderten arbeitslose Holzknechte und Salinenarbeiter in die Waldkarpaten Galiziens und in die USA aus. In der NS-Zeit wurden die Juden zunächst in die Emigration getrieben und später im Holocaust ermordet. 

Der neue Glaube war stärker als die Liebe zur alten Heimat. 620 Protestanten wurden zwischen 1734 und 1737 aus dem Salzkammergut nach Siebenbürgen zwangsdeportiert. Einer von ihnen schrieb sein Schicksal an ein Haus in Großau bei Hermannstadt (Sibiu): „Ich bin ein armer Exulant … Man hat mich aus dem Vaterland vertrieben um des Wortes Gottes willen“.

Nach der Reformation durch Martin Luther waren viele Bauern, aber auch Handwerker und Adelige zum evangelischen Glauben übergetreten. Die Gegenreformation erreichte auch entlegene Dörfer des inneren Salzkammergutes, wo die Mehrheit der Bevölkerung dem neuen Glauben treu blieb. Im Raum Bad Goisern feierten die Protestanten weiterhin in Höhlen Messen in deutscher Sprache.

So kam es unter Kaiser Karl VI. 1734 zu den ersten Deportationen. 47 Familien mit 259 Personen aus Hallstatt, Goisern und Ischl waren die ersten, die nach Siebenbürgen zwangsumgesiedelt wurden. Ihr Besitz sollte verkauft und der Erlös in die neue Heimat geschickt werden, was aber in vielen Fällen nicht geschah.
Da die erhoffte abschreckende Wirkung der Deportationen auf die Evangelischen im Salzkammergut weitgehend ausblieb, wurden bis 1737 weitere Deportationen durchgeführt, sodass insgesamt 624 Personen nach Siebenbürgen umgesiedelt wurden.

Die meisten „Umsiedler“, wie sie von den Behörden genannt wurden, begannen ihr neues Leben in Neppendorf und Großau, zwei Dörfern in der Nähe von Hermannstadt (heute Sibiu) in Rumänien. Sie mussten sich mit den bereits ansässigen Siebenbürger Sachsen aus dem Rheinland arrangieren. Unter Kaiserin Maria Theresia folgten von 1752 bis 1757 weitere Deportationen von unbeugsamen Protestanten – den so genannten Landlern – nach Siebenbürgen, insgesamt 2052 Personen. Versprechungen von Ackerland und Steuerfreiheit wurden oft nicht eingehalten.

 

Das Zusammenleben mit den Sachsen war nicht frei von Konflikten. So saßen Landler und Sachsen in den evangelischen Kirchen getrennt. Lange Zeit gab es auch getrennte Schulen, da sich die beiden Gruppen auch in der Sprache unterschieden. Erst langsam wuchsen die beiden Volksgruppen zusammen, auch durch Mischehen.
Ab 1775 kam es zu einer neuen Auswanderungswelle aus dem Salzkammergut, diesmal jedoch auf freiwilliger Basis. 224 Auswanderer – die meisten aus Bad Ischl, Ebensee und Bad Goisern – meldeten sich freiwillig, um als Holzknechte und Arbeiter im Salzbergbau in den Waldkarpaten Galiziens (heute Ukraine und Rumänien) ein neues Leben zu beginnen. Als Gegenleistung durften sie einen Priester und einen Lehrer mitnehmen. Außerdem erhielten sie ein Grundstück für den Hausbau und je zwei Stück Vieh. Die Dörfer erhielten Namen wie Deutsch-Mokra, Königsfeld oder Franzdorf. „Von den vertraglichen Versprechungen wurde aber nur wenig eingehalten“, sagt Franz Gillesberger, Leiter des „Museum.Ebensee“. Dort ist noch immer die Ausstellung „Himmel und Hölle“ über die Auswanderer aus dem Salzkammergut zu sehen, die Teil der Landesausstellung 2008 war.

(c) Otmar Lahodynsky -Die Kirchenburg in Grossau, wo die Familien (Siebenbürger Sachsen und Landler aus dem Salzkammergut) bei Angriffen der Mongolen, Awaren etc. Zuflucht fanden.

Anfangs lebten die „Landler“ in Hütten und wären – wie Briefe in die alte Heimat zeigen – am liebsten gleich wieder nach Hause gefahren. Doch mit Fleiß und Geschick brachten sie es zu bescheidenem Wohlstand. Brauchtum, Tracht, Musik und Dialekt aus dem 1100 Kilometer entfernten Salzkammergut wurden von den Landlern in den Karpaten wie in Siebenbürgen weiter gepflegt.

Aus Rumänien wanderten unter dem Regime von Nicolae Ceausescu und nach der Wende 1989 viele Landler nach Deutschland aus, wo sie finanziell unterstützt wurden und auch Pensionen erhielten. Eine solche Starthilfe gab es in Österreich nicht, weshalb nur wenige Landler in ihre alte Heimat zurückkehrten. Das Land Oberösterreich organisiert regelmäßig Hilfslieferungen und Weihnachtsgeschenke.
In den Dörfern der heutigen Ukraine leben heute nur mehr wenige Menschen mit Wurzeln im Salzkammergut. Diesen „letzten Österreichern“ hat der Südtiroler Regisseur Lukas Pitscheider im Jahr 2020 einen Dokumentarfilm gewidmet, in dem die Herkunft der Auswanderer freilich unerwähnt bleibt.

(c) Otmar Lahodynsky- Ein Haus eines Landlers in Grossau bei Hermannstadt (rumänisch Sibiu)

Im 19. Jahrhundert kam es zu weiteren Auswanderungswellen aus dem Salzkammergut, diesmal in die Vereinigten Staaten von Amerika. Gründe dafür waren Hungersnöte oder fehlende Erwerbsmöglichkeiten außerhalb des Salz- und Holzsektors. Gleichzeitig machten Produktionsumstellungen in den Salinen viele Beschäftigte arbeitslos. Der Historiker Michael Kurz aus Bad Goisern hat die Spuren der neuen Migranten in den USA erforscht: „Mit dem Konkordat von 1855 wurden Teile des Toleranzpatents aufgehoben, was den Protestanten die Ausübung ihres Glaubens wieder erschwerte. Viele Auswanderer ließen sich in den landwirtschaftlich geprägten Staaten Wisconsin und Missouri nieder“. Nach der US-Gesetzgebung von 1862 erhielt jeder Einwanderer ein Grundstück von 60 acres (entspricht ca. 24 Hektar). Im Telefonbuch von Jackson/Missouri finden sich viele typische Salzkammergut-Namen wie Reisenbichler, Loidl oder Putz.

Der aus Ebensee stammende Priester Friedrich Xaver Katzer brachte es in den USA 1890 sogar zum Erzbischof von Milwaukee. Auch die berühmte amerikanische Dichterin Sylvia Plath (1932-1963) hatte familiäre Wurzeln im Ausseerland.

Mit dem Aufstieg Adolf Hitlers in Deutschland begann auch im Salzkammergut die Verfolgung der Juden. Bereits Anfang der dreißiger Jahre kam es in Bad Ischl zu Protestmärschen gegen jüdische Geschäftsleute. Bald nach Hitlers Einmarsch in Österreich, im März 1938, wurden ihre Geschäfte und Häuser arisiert. In Ischl betraf dies 60 Objekte, in Gmunden und Aussee ebenso viele. Das Schicksal des jüdischen Ebenseer Apothekers Sigmund Berger ist im Museum.Ebensee akribisch dokumentiert. Ihm gelang 1939 zunächst die Flucht nach Großbritannien, doch nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde er mit vielen anderen Österreichern und Deutschen nach Australien abgeschoben. Erst 1943 durfte er in die USA auswandern. Doch das Schiff mit den Emigranten sank und Berger ertrank.

Mehr Glück hatte der Komponist Erich Wolfgang Korngold (Oper „Die tote Stadt“), der Anfang 1938 von Hollywood den Auftrag für eine Filmmusik erhielt und mit seiner Familie rechtzeitig die Heimat verlassen konnte. In seinem Haus in Kalifornien stand auf dem Schreibtisch ein Foto, das den Blick von seinem geliebten Landgut bei Gmunden auf den Traunstein zeigte.

Der Operettenlibrettist Fritz Löhner-Beda, der viele Texte für Franz Lehár schrieb, konnte nicht mehr ausreisen. Er und seine gesamte Familie wurden in den Lagern der Nationalsozialisten ermordet. Über das Schicksal der Juden im Salzkammergut arbeitet das Zeitgeschichte-Museum Ebensee derzeit an dem Buch „Jüdische Familien im Salzkammergut“, für das bereits 160 Einzelschicksale recherchiert wurden.

Das Salzkammergut wurde in drei Jahrhunderten von verschiedenen Auswanderungswellen geprägt: Zuerst die Zwangsdeportation der Protestanten, dann die Arbeits- und Wirtschaftsmigration in die Waldkarpaten und in die USA und in der NS-Zeit die Enteignung und erzwungene Auswanderung oder Ermordung der Juden. Sie alle haben Spuren hinterlassen. ( Otmar Lahodynsky, Türkische Allgemeine, 21.02.2024)

https://www.salzkammergut.at/

https://www.salzkammergut-2024.at/

Otmar Lahodynsky

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