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Starke Diplomatie versus Machtdiplomatie

Die Aufteilung Europas über die Ukraine wird auf der Tagesordnung des Alaska-Gipfels stehen. Es wird der erste amerikanisch-russische Gipfel seit dem Kalten Krieg sein, bei dem die Souveränitätsansprüche eines europäischen Landes auf dem Territorium eines Nachbarlandes verhandelt werden

Ahmet Özay, Köln, 15.08.2025

Die Beendigung des Krieges in der Ukraine ist für den Westen von höchster Priorität. Trump und Putin treffen sich auf amerikanischem Boden in Anchorage, der größten Stadt Alaskas. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten erlassen, doch Trump bietet ihm eine Rückkehr auf die diplomatische Bühne. Russland will die ukrainischen Gebiete annektieren. Mit Russland an einen Tisch zu sitzen, wird jedoch als Verstoß gegen die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene Weltordnung interpretiert. Der „Alaska-Gipfel” wird zweifellos auch eine Plattform sein, auf der die von Israel in Gaza fortgesetzte Zerstörung und der „Völkermord“  thematisiert werden. Die am 7. Oktober 2023, Putins 71. Geburtstag, begonnene Besetzung Gazas geht nun in ihr zweites Jahr.

Ehemaliges russisches Territorium

Die Russen betraten Alaska erstmals im Jahr 1741 mit Vitus Bering. Im Jahr 1784 gründeten sie ihre ersten Siedlungen. Die russische Präsenz in Alaska fällt zeitlich mit der Abspaltung der Krim vom Osmanischen Reich durch Russland zusammen. 1799 gründete Zar Pawel die Russisch-Amerikanische Kompanie und übertrug ihr die Verwaltung Alaskas. Die russische Bevölkerung in Alaska umfasste jedoch nie mehr als einige Hundert Menschen. In den 1850er Jahren verloren die Russen das Interesse an Alaska. Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch Großbritannien während des Krimkriegs verkaufte Russland Alaska für 7,2 Millionen Dollar an die Vereinigten Staaten von Amerika. 1867 wurde Alaska amerikanisches Territorium und 1959 schließlich der 49. Bundesstaat der USA. Somit wurde de facto  das Schicksal der Ukraine und der Krim bereits 1852, nach dem Krimkrieg, besiegelt, als Russland die Region an die USA abtrat.

 

Treffen in London

Der ukrainische Präsident Selenskyj wird bei den Gesprächen in Alaska nicht anwesend sein. Zur Vorbereitung des Gipfels trafen sich der stellvertretende US-Präsident J. D. Vance und ukrainische Delegationen in der britischen Hauptstadt London. Für die Ukraine nahmen der Leiter des Präsidialamtes, Andriy Yermak, und der Staatssekretär im Nationalen Sicherheitsrat, Rüstem Umerov, an dem Treffen teil.

Yermak betonte die Position der Ukraine und traf sich mit dem Außenminister und dem Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten.

In einer schriftlichen Erklärung zu dem Treffen sagte Staatssekretär Umerov: „Wir haben Schritte erörtert, die uns einem gerechten und dauerhaften Frieden näherbringen. Unsere Position ist klar. Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn die Souveränität der Ukraine uneingeschränkt respektiert wird, die Besetzung anerkannt wird und die Aggression bedingungslos beendet wird.“

Wer sitzt am Verhandlungstisch?

Der „Alaska-Gipfel“, bei dem Europa außen vor gelassen wurde, hat in den europäischen Hauptstädten für Unruhe gesorgt. Auf Initiative Deutschlands haben die europäischen Länder nacheinander Gespräche geführt und ihre Bemühungen fortgesetzt, Einfluss auf die „in Alaska geschaffene Verhandlungsplattform“ zu nehmen. Die EU-Mitglieder haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht und eine Videokonferenz mit Präsident Trump abgehalten.

Trump bezeichnet diesen Gipfel als „Kennenlernrunde“ und sagt, er könne „in den ersten Minuten Putins Absichten spüren“.

Laut Trump soll das Treffen mit Putin in Alaska dazu dienen, den Krieg in der Ukraine „schnell zu beenden“. Diplomatische Quellen sind jedoch der Meinung, dass Trumps Plan noch nicht klar ist. Die Kreml-Seite betont hingegen, dass es sich um ein „bilaterales Treffen zwischen den USA und Russland“ handeln werde. Selenskyj ist nicht dabei.

In Alaska geht es darum, dass die USA ihre angeschlagene Führungsposition verteidigen, Russland Zeit gewinnt, die kriegsmüde Ukraine verschnaufen kann und Europa irgendwie mit am Tisch sitzt.

Die Sorge Europas

In einer Erklärung im Namen der 26 Mitgliedstaaten  der EU wurden „die Beendigung des russischen Angriffs auf die Ukraine und die Bemühungen um einen gerechten Frieden und Sicherheit für die Ukraine“ begrüßt. Nur Ungarn schloss sich dieser Erklärung nicht an.

Die Besorgnis Europas über den „Alaska-Prozess” kam in dem Satz „Internationale Grenzen können nicht mit Gewalt verändert werden” zum Ausdruck. Es wurde betont, dass „der Weg zum Frieden nicht ohne die Ukraine festgelegt werden kann“. Die auffälligste Formulierung bezog sich auf die Forderung, dass „eine diplomatische Lösung die lebenswichtigen Sicherheitsinteressen der Ukraine und Europas schützen muss“. Mit dieser Formulierung sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass eine diplomatische Lösung nicht dazu führen darf, dass Russland belohnt wird, während Europa bzw. die EU im Stich gelassen wird.

Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz lud Selenskyj nach Berlin ein. Unter deutscher Federführung fand eine Videokonferenz mit US-Präsident Trump statt. Neben dem deutschen Bundeskanzler nahmen auch die Staats- und Regierungschefs Finnlands, Frankreichs, Italiens und Polens sowie Vertreter der EU und der NATO teil.

Vor seiner Ankunft in Berlin hatte der ukrainische Präsident ein Telefongespräch mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan geführt. Er erklärte, dass „ohne die Ukraine keine Entscheidung getroffen werden kann”.

Was steht auf dem Spiel?

Auch wenn der „Alaska-Gipfel“ als Suche nach Frieden bezeichnet wird, wird er mit Sicherheit Auswirkungen über die Ukraine hinaus haben.

Um einen dauerhaften Frieden zu erreichen, herrscht die Meinung vor, dass fünf Regionen als Zwischenlösung an Russland abgetreten werden sollen. Diese Zwischenlösung entspricht jedoch nicht den endgültigen Zielen Russlands. Tatsächlich hat der Kreml vor dem Gipfel behauptet, dass die fünf von Russland besetzten Regionen gemäß der russischen Verfassung russisches Hoheitsgebiet seien. Allerdings hat Russland bis auf eine Ausnahme in keinem dieser fünf Verwaltungsgebiete die militärische Kontrolle erlangt. Die Frage ist, wie und durch wen Russland diese Gebiete erhalten wird.

Dieses Ziel können die USA und Russland nur erreichen, wenn sie die Ukraine überzeugen. Wenn dies nicht möglich ist, werden die beiden Großmächte dann gemeinsam über den Sturz der legitimen Regierung der Ukraine beraten?

Russland zieht diese Methode derzeit nicht vor. Ein solcher Schritt würde nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland zu einem Bürgerkrieg und zur Spaltung des Landes führen.

Ein weiterer Punkt ist die Zukunft der israelischen Besetzung des Gazastreifens, die mit „Völkermord“ und „ethnischen Säuberungen“ einhergeht. Die Angriffspolitik Israels bindet dem Westen in Bezug auf Finanzierung und Waffenlieferungen die Hände. Russland ist sich dessen bewusst. Es ist jedoch unrealistisch, dass die israelischen Angriffe in naher Zukunft enden werden, denn das wäre ganz und gar nicht im Interesse Russlands.

Sonderoperation

Ein weiterer Punkt ist das zwischen den USA, Armenien und Aserbaidschan geschlossene Abkommen über Zengezur. Wird die verstärkte Präsenz amerikanischer und israelischer Truppen in Aserbaidschan zu einem neuen Krieg führen? Mitglieder des russischen Parlaments haben bereits geäußert, dass die Eröffnung von NATO-Stützpunkten in Aserbaidschan Russland zu einer neuen „Sonderoperation” veranlassen könnte.

 

Die Russen sind ein kriegerisches Volk

In diesen Tagen, in denen die Karten neu gemischt werden, findet jedes Wort des amerikanischen Präsidenten Trump in Europa große Resonanz. Trump sagte: „Die Russen sind ein kriegerisches Volk. Sie haben Hitler besiegt, sie haben Napoleon besiegt. Ich habe Viktor Orbán gefragt: ‚Kann Russland von der Ukraine besiegt werden?‘ Er hat mich angesehen, als hätte ich eine dumme Frage gestellt.“  Diese Worte bringen uns auf die türkische Redewendung „Bozacının şahidi, şıracı“ in Rage. Es handelt sich um eine Redewendung auf Türkisch, die sinngemäß übersetzt „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“ bzw. „Die einen decken sich gegenseitig.“ bedeutet.

Hinter Trumps freundlicher Haltung gegenüber Russland steht zunächst die Suche nach einer Lösung im Ukraine-Konflikt. Danach sollen milliardenschwere Verträge mit Russland in der Arktis abgeschlossen werden. Andernfalls droht den USA, die russisches Öl nutzen – wie beispielsweise Indien –, eine Erhöhung der Zölle um 50 %. Mit dieser Einschätzung geht der amerikanische Präsident in die Verhandlungen mit Russland.

Laut der britischen Zeitung Telegraph hat die Ukraine einem Waffenstillstand unter der Bedingung zugestimmt, dass sie „einen Teil ihres besetzten Territoriums” an Russland abtritt.

Die „Times“ spricht von einem 4-Stufen-Plan. Der erste Schritt ist die Einfrierung der Frontlinien, der zweite die Übergabe des gesamten Donbass an die Russische Föderation. Im dritten Schritt fordert Russland die Regionen Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk vollständig. Russland fordert, dass diese Regionen die Grenze der Ukraine bilden. Die Krim ist in diesen Verhandlungen kein Thema, da die russische Besetzung als gegeben hingenommen wird.

Diplomaten-Gipfel in Kiew

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew fand ein Gipfel der Diplomaten statt. Das Institut für Außenpolitik versammelte unter dem Motto „Von der starken Diplomatie zur Machtdiplomatie” Dutzende Botschafter und Generalkonsuln der Ukraine aus aller Welt. Gastgeber war ein in der Türkei wohlbekannter Name: der ehemalige ukrainische Botschafter in Ankara und Außenminister Andrij Sybiha.

Die Diplomaten wurden über den Kriegsverlauf und die Friedensgespräche informiert. An dem Treffen nahmen auch der ukrainische Botschafter in Ankara, Narman Celal, und der Honorarkonsul in Bursa, Görkem Şehsuvar, teil. Es wurden die Beiträge der Türkei in der neuen Phase, die auf die Ukraine zukommt, erörtert.

Der ukrainische Honorarkonsul in Bursa wies darauf hin, dass die Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland unter der Schirmherrschaft der Türkei fortgesetzt werden sollen. Während seines dreitägigen Aufenthalts in Kiew betonte er, dass er den Wunsch hege, die Ukraine wieder in ihrer alten Pracht zu sehen. „Die Ukraine sieht die endgültigen Ziele Russlands”, sagte Şehsuvar. Unter dieser Prämisse wurden drei Tage lang die Thesen der Ukraine dargelegt. Unabhängig davon, wie die Entscheidungen im Westen ausfallen werden, ist die Ukraine entschlossen, ihre territoriale Integrität entweder am Verhandlungstisch oder an der Front zu verteidigen. Entsprechend dieser Entschlossenheit wurde die Überschrift der Sitzung gewählt. In Kiew gehen die Menschen nicht einmal mehr in Schutzräume. Ich habe diese Entschlossenheit gesehen. Es ist offensichtlich, dass die Ukraine Unterstützung benötigt, um die Rechtmäßigkeit ihrer nationalen Verteidigung zu erklären.

Unabhängig vom Ergebnis des Gipfeltreffens in Alaska werden die Verhandlungen zwischen den Delegationen der Ukraine und Russlands in Istanbul fortgesetzt. Denn die Ukraine, mit der wir unsere größte Seegrenze teilen, betrachtet die Position der Türkei in ihrer Außenpolitik als unverzichtbare Priorität.

Der Prozess von Teheran, Jalta und Potsdam, in dem das europäische Territorium aufgeteilt wurde, wird nun in Alaska fortgesetzt. (Ahmet Özay, Köln, 15.08.2025, Türkische Allgemeine)

Andreas Günes

Redaktion, Türkische Allgemeine

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Andreas Günes

Redaktion, Türkische Allgemeine
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