Birol Kilic, Analyse und Beobachtungen aus Wien, 15.09.2025
Die Ernennung von Sinan Selen zum Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist kein Zufall – sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Integrität, Fachkompetenz und loyalen Dienstes am deutschen Staat und an der deutschen Gesellschaft. Selen, Sohn türkischer Eltern, ist ein Produkt des deutschen Bildungssystems – geprägt von juristischer Exzellenz, Führungskompetenz und einer Spezialisierung auf internationale Terrorismusbekämpfung. In Europa gilt er als einer der führenden Experten auf diesem Gebiet.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bildet das Rückgrat der deutschen und europäischen Demokratie. Es schützt die freiheitlich-demokratische Grundordnung, überwacht extremistische Bestrebungen, ausländische Spionageaktivitäten und sicherheitsrelevante Bedrohungen. In Zeiten wachsender Polarisierung und globaler Unsicherheit ist das BfV nicht nur ein Sicherheitsorgan, sondern ein demokratischer Schutzschild. Dass mit Sinan Selen ein deutsch-türkischer Jurist an der Spitze steht, sendet ein starkes Signal für die Offenheit und Leistungsorientierung des deutschen Rechtsstaats.
Wir gratulieren der rechtsstaatlichen Republik Deutschland. Hochachtung!
Deutsch-türkische Präsenz: Kein Randphänomen, sondern Rückgrat
Was einst als Gastarbeitergeschichte begann, ist heute eine Erfolgserzählung mit hunderten Kapiteln – geschrieben von Menschen mit türkischen Wurzeln, die Deutschlands Institutionen, Wirtschaft und Kultur mitgestalten. Nicht als Ausnahme, sondern als Teil des demokratischen Gefüges.
Ein paar Beispiele aus Tausenden.
Politik und Verwaltung
Macit Karaahmetoğlu – Vorsitzender des Verfassungsausschusses im Bundestag
Berivan Aymaz – Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin in Köln
Sinan Selen – Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz
Cem Özdemir – Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft
Muhterem Aras – Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg
Gülistan Yüksel – SPD-Bundestagsabgeordnete, engagiert in Integrationsfragen
Metin Hakverdi – Jurist und Bundestagsabgeordneter mit transatlantischem Profil
Wissenschaft und Medizin
Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu – Bildungsforscherin, Stimme für chancengerechte Bildung
Dr. Dilek Gürsoy – Herzchirurgin, erste Frau in Europa, die ein Kunstherz implantierte
Prof. Dr. Ahmet Gül – Nanotechnologe mit internationaler Reputation
Prof. Dr. Hacı Halil Uslucan – Psychologe und Integrationsforscher
Dr. Caner Aver – Politikwissenschaftler, Mitautor der Springer-Studie zur türkischen Bildungselite in Deutschland
Necla Kelek – Sozialwissenschaftlerin und Publizistin, bekannt für ihre kritischen Analysen zu Integration und Parallelgesellschaften
Wirtschaft und Innovation
Kaan Terzioğlu – Ehemaliger CEO von Vodafone Deutschland
Serhat Yılmaz – Strategiechef bei Delivery Hero
Eren Ünlü – Bauunternehmer mit Projekten in mehreren Bundesländern
Melih Yalçın – Gründer von Start-ups im Bereich Künstliche Intelligenz
Ayşe Öztürk – Geschäftsführerin eines erfolgreichen Logistikunternehmens in NRW
Tülin Akın – Agrarinnovatorin, ausgezeichnet für digitale Lösungen im ländlichen Raum
Kunst, Medien und Kultur
Fatih Akin – Regisseur, dessen Filme deutsche Realität neu definieren
Emine Sevgi Özdamar – Schriftstellerin, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
Kaya Yanar – Komiker, der mit Ethno-Humor Brücken baut
Bülend Ürük – Kommunikationschef der Funke Mediengruppe
Ayşe Erkmen – Bildende Künstlerin mit Ausstellungen in Berlin, Venedig und New York
Meral Zeller – Schauspielerin und Theaterpädagogin mit migrantischer Perspektive
Gastronomie und Öffentlichkeit
Ali Güngörmüs – Sternekoch und TV-Persönlichkeit
Sibel Özilgen – Unternehmerin im Bereich nachhaltiger Ernährung und Eventkultur
Mehmet Yalçınkaya – Koch und Juror bei deutschen Kochshows mit türkischem Akzent
Die Biontech-Revolution: Deutsch-Türkische Wurzeln, globale Wirkung aus Deutschland
Die Corona-Pandemie brachte viele Herausforderungen – aber auch Hoffnung. Und diese Hoffnung trug zwei türkischstämmige Namen: Uğur Şahin und Özlem Türeci. Das Ehepaar, Gründer des Mainzer Unternehmens BioNTech, entwickelte den ersten weltweit zugelassenen mRNA-Impfstoff gegen COVID-19.
Beide stammen aus Familien türkischer Herkunft. Şahin wurde in İskenderun geboren, Türecis Vater war Chirurg aus Istanbul. Ihre wissenschaftliche Laufbahn begann in der Krebsforschung – ihre Vision: Krankheiten mit Präzision bekämpfen. Mit dem Impfstoff BNT162b2 gelang ihnen eine medizinische Sensation, die Millionen Leben rettete.
In Deutschland gefeiert, in der Türkei verehrt – ihr Erfolg ist nicht nur ein Triumph der Wissenschaft, sondern auch ein Symbol für gelungene Integration und globale Verantwortung.
Diese Namen sind keine Ausnahmeerscheinungen – sie sind Teil einer neuen deutschen Realität. Nicht am Rand, sondern mittendrin. Nicht geduldet, sondern gebraucht. Die Republik ist vielfältiger, als ihre Archive es je erfassen konnten.
Kaum bekannt: Ein Deutscher gründete den türkischen Geheimdienst-Oberst Walter Nicolai
Nach der Gründung der Republik Türkei im Oktober 1923 begann der Aufbau staatlicher Institutionen – darunter auch ein moderner Nachrichtendienst.
Was viele nicht wissen: Die Grundstruktur dieses Dienstes wurde maßgeblich von einem Deutschen entworfen. Sein Name: Oberst Walter Nicolai.
Als ehemaliger Chef der deutschen Spionage im Ersten Weltkrieg wurde er 1925 auf Empfehlung des deutschen Botschafters nach Ankara entsandt – offiziell als Mitarbeiter der Firma Junkers, inoffiziell als strategischer Berater.
Mit seiner Hilfe entstand 1926 die „Milli Emniyet Hizmeti“ (MAH und heute MIT), das Rückgrat der türkischen Sicherheitsarchitektur.
Aus Wiener Perspektive
Aus Wiener Perspektive ist es erfreulich zu sehen, dass Menschen mit türkischen Wurzeln nicht nur integriert sind, sondern aktiv zum Funktionieren und zur Weiterentwicklung demokratischer Institutionen beitragen. Die zweite Generation von Migrant:innen aus der Türkei – sowie jene, die in Deutschland studiert und sich beruflich etabliert haben – sind heute zehntausende in Wissenschaft, Kunst, Medien, Sicherheit und Politik präsent. Sie sind keine Fremdkörper, sondern Teil des demokratischen Gefüges. Das ist der Erfolg der Deutschen Republik! Eine freiheitliche, demokratische, vielfältige und rechtsstaatliche Republik, der wir aus Wien als wehrhafte Demokraten salutieren.
Die Loyalität dieser deutsch-türkischen Bürger:innen gegenüber dem deutschen Staat sollte nicht misstrauisch beäugt, sondern als Bereicherung verstanden werden. Die Geschichte zeigt: Türkische Gemeinschaften haben in den letzten zwei Jahrtausenden nicht nur eigene Staaten gegründet, sondern auch in fremden Ländern mit Hingabe und Disziplin gedient. Heute gibt es zahlreiche deutsch-türkische Unternehmer:innen, die Milliardenumsätze erzielen und Arbeitsplätze schaffen – ein Beweis für die Kraft der pluralistischen, rechtsstaatlichen Nachkriegsgesellschaft Deutschlands.
Diese Menschen sollten nicht behindert, sondern neutral und konstruktiv begleitet werden. Ihre Zweisprachigkeit und kulturelle Vielfalt sind kein Widerspruch zur deutschen Identität, sondern ein Teil davon. Sie stärken die pluralistische, freiheitliche und säkulare Struktur der Bundesrepublik – und tun dies oft aus tiefer Verfassungstreue.
Was für Deutschland gilt, gilt in Teilen auch für Österreich – vielleicht sogar noch dringlicher. Auch hier leben hunderttausende Menschen mit Migrationshintergrund, deren Beitrag zur Gesellschaft nicht unterschätzt werden darf. Und was die Millionen Geflüchteten in der Türkei betrifft: Die Erwartung ist nicht, dass sie das Land destabilisieren.
Doch bei aller Anerkennung für gelungene Integration darf man die geopolitische Verantwortung nicht vergessen. Deutschland darf als NATO-Mitglied nicht länger unter dem Deckmantel der Freundschaft Instabilität in die Türkei exportieren – etwa durch die indirekte Unterstützung von Akteuren, die der säkularen Republik feindlich gegenüberstehen. Seit den 1970er Jahren wurde die Türkei oft als geopolitisches Hinterland behandelt, was langfristig Schaden angerichtet hat. Heute sehen wir, wie Instabilität aus der Türkei nach Europa zurückkehrt – in Form von Radikalisierung, Polarisierung und gesellschaftlicher Spannung. Menschen wie Sinan Selen stehen für das Gegenteil: für Stabilität, Verfassungstreue und demokratische Verantwortung.
Flüchtlingslager Türkei gegen Geld
Auch die Europäische Union muss sich ihrer Rolle bewusst werden. Die Türkei wurde über Jahre hinweg als „Flüchtlingslager Türkei gegen Geld“ instrumentalisiert – oft unter intransparenten Bedingungen. Diese Politik hat nicht nur Millionen türkischer Bürger:innen enttäuscht, sondern auch der demokratischen Entwicklung des Landes geschadet. Man vergisst: Die Türkei ist mit über 85 Millionen Einwohner:innen direkter Nachbar der EU. Wenn sie in einen Sumpf aus Bürgerkrieg und autoritärer Zersetzung abrutscht, wird auch Europa hineingezogen. Seit Jahren warnen wir: Stabilität in der Türkei ist keine nationale, sondern eine europäische Frage.
Europa braucht Haltung – nicht nur Verträge
Die Europäische Union darf die türkische Politik und Bürokratie nicht durch finanzielle Mittel korrumpieren. Irreguläre Flüchtlinge, die sich ohne rechtliche Grundlage in der EU aufhalten, sollten direkt in ihre Herkunftsländer wie Syrien, Afghanistan oder andere zurückgeführt werden – nicht über diplomatischen Druck, intransparente Zahlungen oder politische Erpressung in die Türkei abgeschoben werden.
Ein humanitärer Appell aus Wien: Bitte nicht böse sein.
Ein besonders erschütternder Fall wurde kürzlich auf der Seite der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich dokumentiert. Eine 85-jährige türkische Staatsbürgerin mit gültigem EU-Daueraufenthaltstitel, vollständig sehbehindert und gehbehindert, wurde am Flughafen Wien von der Grenzpolizei festgehalten und nach Istanbul zurückgeschickt – mit der Begründung, sie habe sich drei Monate zu lange in der Türkei aufgehalten. Trotz Aufenthaltserlaubnis bis 2029 und über 50 in Wien lebenden österreichischen Verwandten wurde ihr weder ein Stuhl noch ein Glas Wasser angeboten.
Dieser Vorfall ist kein Einzelfall, sondern ein Symbol für strukturelle Missstände im Umgang mit türkischen Staatsbürger:innen, die alle Hürden und Bedingungen der EU erfüllt haben. Solche Maßnahmen sind nicht nur unmenschlich, sondern auch politisch gefährlich.
Wir müssen warnen
Die Türkei ist kein Hinterhof Europas, sondern ein souveräner Nachbarstaat mit mehr als 85 Millionen Einwohner:innen. Wer Stabilität in der Region will, muss die Würde und die Rechte der türkischen Bürgerinnen und Bürger gesetzlich fair behandeln.
Eine instabile, undemokratische und rechtsstaatlich erodierte Türkei, die wirtschaftlich, demokratisch und rechtlich zusammenbricht, wird die nächsten hundert Jahre ein Sumpf vor der eigenen EU-Tür sein. Wir müssen warnen! Die große Milliarden-EU-Mauer gegen die Türkei in Bulgarien und Griechenland wird die EU nicht schützen können. Wir müssen warnen! Denn Österreich wird das erste EU-Land sein, das den Schaden ausbaden muss. Auch die ganz Rechten, sogar populistische oder konservative Kräfte, können hier nichts machen. Gar nichts!
Bis heute – seit über 60 Jahren – wurden auf Seiten der EU, besonders von Deutschland und Österreich, Fehler gemacht, die gegen ihre eigenen Werte und Interessen verstoßen. Unterstützt wurden diese Fehler von der NATO (USA). Schrecklich, was Sie in Europa nach 1960 gemacht haben… Vor diesen Fehlern warnen diese Zeilenschreiber seit 35 Jahren – und sie werden nicht müde.