Suche
Close this search box.
70 Jahre Neutralität: Vom Glanz des roten Teppichs zur strategischen Zerreißprobe

70 Jahre Neutralität: Vom Glanz des roten Teppichs zur strategischen Zerreißprobe

 

Österreichs Neutralität zwischen Erinnerung, geopolitischem Druck und parteipolitischer Neupositionierung. Historische Kulisse: Wien als Spiegel der Verschiebung. 26. Oktober 2025: 70 Jahre immerwährende Neutralität Österreichs.

von Birol Kilic, Analysen und Beobachtungen aus Wien, 12.Oktober.2025

In Wien sitzt man seit Jahrzehnten am Ufer des Flusses und sieht die Zeit wie ein stiller Zeuge vorbeiziehen. Geschichte wird dadurch zu etwas Persönlichem. Man staunt, was alles vorbeigeflossen ist – und erinnert sich an das, was man einst selbst darüber geschrieben hat.

Wladimir Putin in Wien – Empfang am 24. Juni 2014 durch Bundespräsident Heinz Fischer, Gespräche über Wirtschaft und humanitäre Kooperation. Oder der 5. Juni 2018, als er von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache empfangen wurde. Die Themen klangen damals nach Pragmatismus: EU-Sanktionen, Energie, Gaslieferungen, wirtschaftliche Verträge, Doppelbesteuerung.

Jahre später, am 26. Oktober 2025, gilt derselbe Mann, dem einst in Wien die Türen geöffnet wurden, als Symbol des Bösen. Russland wirft Österreich besonders vor, seine Neutralität verloren zu haben – nicht zuletzt wegen der offen pro-ukrainischen Haltung der neuen Außenministerin und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Und das ausgerechnet am 26. Oktober, vor dem Tag, der als Symbol der Freiheit und Souveränität gilt – dem Geburtstag der österreichischen Neutralität.

Konferenz zur Verteidigung der Neutralität
Am 7. Oktober 2025 versammelten sich in Wien unter der Moderation von Heinz-Christian Strache (Vizekanzler a.D.) fünf profilierte Stimmen aus Politik und Publizistik zur überparteilichen Konferenz „Verteidigung unserer Neutralität – Nein zu einem NATO-Beitritt Österreichs“. Im Saal der Hotel Imperial Riding School waren unter anderem Harald Fischl, Christian Höbart, Werner Reichel, Efgani Dönmez und Veit Dengler vertreten. Rund 60 Gäste nahmen teil, zahlreiche alternative Medien übertrugen live.

Im Mittelpunkt stand die Frage: Kann Österreich seine Neutralität bewahren – oder droht ihr schleichender Verlust?

Hier einige zentrale Zitate, ohne Kommentar:

Harald Fischl (ehemaliger Nationalratsabgeordneter):
„Ich war 1986 dabei, als wir Neutralität verteidigt haben – heute ist es wieder nötig.“; „Die politische Mitte wird systematisch verdrängt – das ist ein demokratisches Problem.“; „Wir dürfen nicht zulassen, dass Sicherheitspolitik zur Parteipolitik verkommt.“; „Neutralität ist nicht verhandelbar – sie ist verfassungsrechtlich geschützt.“; „Die Geschichte zeigt: Österreich war immer dann stark, wenn es unabhängig blieb.“; „Ein NATO-Beitritt wäre ein Bruch mit unserer Verfassungstradition.“; „Die österreichische Neutralität ist ein historisches Versprechen – an unsere Bürger und an Europa.“; „Wir haben 70 Jahre Frieden – das ist kein Zufall, sondern Ergebnis unserer Neutralität.“; „Die Bevölkerung spürt, dass hier etwas kippt – und sie will das nicht.“; „Es braucht Mut, gegen den Strom zu schwimmen – auch politisch.“

Christian Höbart (ehemaliger Nationalratsabgeordneter):
„Die NATO ist nicht die Lösung für unsere sicherheitspolitischen Herausforderungen.“; „Wir brauchen keine fremden Truppen auf österreichischem Boden.“; „Die Neutralität ist ein Schutzmechanismus – nicht ein Relikt.“;
„Die Bürger spüren, dass hier etwas nicht stimmt – und sie haben recht.“;
„Wenn wir jetzt schweigen, wird es morgen zu spät sein.“;
„Die Bevölkerung will keine NATO – das zeigen alle Umfragen.“;
„Neutralität schützt uns vor globalen Eskalationen.“;
„Die Polarisierung wird von manchen politischen Kräften bewusst vorangetrieben.“;  „Es geht nicht um rechts oder links – es geht um Wahrheit und Verantwortung.“; „Wer heute schweigt, macht sich morgen mitschuldig.“

Werner Reichel (Autor und Journalist):
„Wer die Neutralität aufgibt, gibt ein Stück österreichischer Identität auf.“; „Die NATO ist kein Friedensprojekt, sondern ein geopolitisches Machtinstrument.“; „Die Meinungsfreiheit endet dort, wo die mediale Mehrheit entscheidet, was gesagt werden darf.“; „Wir erleben eine mediale Gleichschaltung, die kritische Stimmen systematisch ausschließt.“; „Es geht nicht um Sicherheit, sondern um geopolitische Interessen.“; „Die Neutralität ist kein Auslaufmodell, sondern ein Schutzschild gegen Eskalation.“

Efgani Dönmez (ehemaliger Bundesrat, Publizist):
„Neutralität ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit in einer Welt voller geopolitischer Interessen.“ ; „Wer glaubt, dass wir durch Bündnisse sicherer werden, hat die Geschichte nicht verstanden.“; „Die NATO ist kein Friedensprojekt – sie ist ein militärischer Interessenverband.“; „Österreich muss sich entscheiden: Vermittler oder Mitläufer.“; „Neutralität bedeutet nicht Passivität, sondern aktive Friedenspolitik.“; „Wir dürfen unsere Verfassung nicht dem Zeitgeist opfern.“; „Die Bevölkerung spürt, dass hier etwas nicht stimmt – und sie hat recht.“; „Neutralität ist ein Schutzraum für Demokratie, nicht ihr Gegenteil.“; „Wer die Neutralität aufgibt, gibt auch ein Stück österreichischer Seele auf.“; „Neutralität gehört zur DNA Österreichs – sie ist kein taktisches Instrument, sondern ein historischer Auftrag.“; „Ich war in der Türkei, ich kenne die Folgen von Militärbündnissen – sie bringen keine Sicherheit, sondern Abhängigkeit.“

 

Heinz-Christian Strache (Vizekanzler a.D., Konferenzmoderator):
„Neutralität ist kein Auslaufmodell, sondern ein Zukunftsmodell für Frieden und Souveränität.“; „Wer Österreich in die NATO führen will, gefährdet unsere verfassungsmäßige Unabhängigkeit.“; „Wir brauchen keine fremden Truppen auf österreichischem Boden – das ist ein klarer Verfassungsbruch.“; „Neutralität ist Teil unserer Identität – sie schützt uns vor globalen Eskalationen.“; „Die Bevölkerung will keine NATO – das zeigen alle Umfragen und das spüren wir in Gesprächen.“; „Diese Konferenz ist ein Zeichen: Wir stehen für Frieden, für Verfassungstreue und für Österreich.“; „Neutralität bedeutet nicht Isolation, sondern aktive Friedenspolitik und internationale Vermittlung.“; „Wir dürfen nicht zulassen, dass parteipolitische Interessen unsere Sicherheitspolitik dominieren.“; „Die NATO ist kein Friedensprojekt – sie ist ein militärisches Bündnis mit Eskalationslogik.“; „Ich stehe hier nicht als Parteipolitiker, sondern als Österreicher, der seine Heimat schützen will.“

Veit Dengler (NEOS-Abgeordneter):
Ich halte die Zitate des NEOS-Abgeordneten in dieser Diskussion für besonders wertvoll. Als andersdenkender Beobachter und Denker möchte ich zu jedem einzelnen Zitat eine fundierte Replik formulieren. Vielleicht gelingt es ihm ja, mich vom Gegenteil zu überzeugen – ich bin offen für Argumente und bereit zu lernen.

Dengler: „Neutralität muss nicht dogmatisch sein, aber sie muss ernst genommen werden.“
Replik: Neutralität ist kein Dogma, sondern ein völkerrechtlich und verfassungsrechtlich verankerter Status. Ihre Ernsthaftigkeit bemisst sich nicht an Flexibilität, sondern an Glaubwürdigkeit gegenüber allen Konfliktparteien. Eine „neue Interpretation“ ohne rechtliche Grundlage gefährdet diese Vertrauensbasis – gerade im Rahmen von UNO-Missionen und internationaler Diplomatie.

Dengler: „Wir brauchen eine neue Definition von Sicherheit, die nicht nur militärisch denkt.“
Replik: Gerade die österreichische Neutralität ermöglicht eine umfassende Sicherheitsarchitektur, einschließlich humanitärer Hilfe, ziviler Krisenprävention, Cyberabwehr und Energieautonomie. Ein NATO-Beitritt würde diese multidimensionale Struktur auf eine militärische Logik reduzieren und Österreich Teil einer Eskalationsdynamik machen.

Dengler: „Demokratie heißt auch, unbequeme Fragen zuzulassen.“
Replik: Unbequeme Fragen sind legitim – aber sie müssen auf verfassungsrechtlich tragfähiger Grundlage gestellt werden. Neutralität ist kein Meinungsthema, sondern ein bindendes Staatsprinzip. Ihre Relativierung gefährdet demokratische Stabilität, wie das Volksbegehren „Kein NATO-Beitritt“ gezeigt hat.

Dengler: „Die Polarisierung verhindert echte Lösungen – das ist gefährlich.“
Replik: Polarisierung entsteht nicht durch die Verteidigung der Neutralität, sondern durch ihre ideologische Aufweichung. Die Forderung nach einem NATO-Beitritt selbst ist spaltend und erhöht das geopolitische Risiko – sichtbar etwa in russischen Drohungen gegen Österreich.

Dengler: „Wir müssen wieder lernen, zuzuhören – auch wenn es weh tut.“
Replik: Zuhören bedeutet, die Verfassung ernst zu nehmen. Wer die Neutralität infrage stellt, trägt Verantwortung für mögliche sicherheitspolitische und diplomatische Folgen. Die Debatte darf nicht zur Normalisierung verfassungswidriger Optionen führen.

Dengler: „Neutralität muss neu gedacht werden – im Kontext europäischer Sicherheit.“
Replik: Europäische Sicherheit ist kein einheitliches Konzept. Österreichs Rolle als neutraler Vermittler bleibt strategisch wertvoll. Die EU verfügt mit PESCO, Frontex und zivilen Schutzmechanismen über Instrumente, die mit Neutralität vereinbar sind. Ein NATO-Beitritt hingegen würde Österreichs diplomatische Glaubwürdigkeit untergraben und Wiens Rolle als internationaler Standort schwächen.

Dengler: „Wir brauchen eine ehrliche Debatte, nicht ideologische Reflexe.“
Replik: Neutralität ist kein Reflex, sondern ein bewährtes Friedensinstrument. Die Debatte über ihren Wert muss auf Fakten und Verfassungstreue beruhen – nicht auf sicherheitspolitischen Symbolhandlungen oder parteipolitischen Projektionen.

Dengler: „Demokratie lebt vom Widerspruch – aber auch vom Respekt gegenüber Andersdenkenden.“
Replik: Respekt heißt, Grundprinzipien des Staates zu achten. Die Verteidigung der Neutralität ist kein Dogma, sondern Ausdruck demokratischer Verantwortung gegenüber Bürgern und internationaler Ordnung. Wer sie aufgibt, muss die Konsequenzen für Österreichs Rolle in der Welt offen benennen.

Dengler: „Wir müssen Räume schaffen, in denen kontroverseDebatten möglich sind, ohne Diffamierung.“
Replik: Solche Räume bestehen – etwa in der überparteilichen Konferenz zur Verteidigung der Neutralität. Doch sie dürfen nicht zu Bühnen für sicherheitspolitische Relativierungen werden, die Österreichs Status als Friedensstaat gefährden.

Dengler: „Die Zukunft der Neutralität hängt davon ab, ob wir sie mit Inhalt füllen.“
Replik: Neutralität hat längst Substanz: UNO-Sitz, humanitäre Tradition, zivile Friedenspolitik, internationale Vermittlung. Sie bleibt relevant, ohne militarisiert zu werden. Wer sie „neu denken“ will, sollte zuerst ihre bestehende Tiefe verstehen – und sie als diplomatischen Schutzraum respektieren.

Vergleich mit der Schweiz: Neutralität als aktives Friedensinstrument
Der NEOS-Abgeordnete Denk nennt die Schweiz häufig als Beispiel. Bis heute hält die Schweiz konsequent an ihrer Neutralität fest. Im engeren Sinn bedeutet dies, dass sie sich militärisch nicht an Konflikten beteiligt und keine Kriegspartei unterstützt. Im weiteren Sinn spricht man von Neutralitätspolitik, also der praktischen Umsetzung dieser Haltung, insbesondere in Friedenszeiten.

Diese Politik dient der Wahrung von Unabhängigkeit, Sicherheit und Glaubwürdigkeit – Aspekte, unter denen Österreich – zu Recht oder zu Unrecht – leidet. Sie zeigt sich in:

– dem Verzicht auf militärische Bündnisse,

– Zurückhaltung bei Sanktionen ohne UN-Mandat,

– aktiver Friedensförderung, humanitärer Hilfe und Diplomatie,

– der Rolle als Vermittlerin und Gastgeberin internationaler Verhandlungen,

– einer Außenpolitik, die auf Dialog und Kooperation statt Blockbildung setzt.

Kurz gesagt: Die Schweiz pflegt ihre Neutralität aktiv – als Instrument des Friedens und Ausdruck politischer Unabhängigkeit. Sowohl Österreich als auch die Schweiz zeigen, dass Neutralität kein passiver Zustand ist, sondern eine bewusste politische Entscheidung. Während die Schweiz ihre Neutralität konsequent verteidigt, sucht Österreich nach einer Balance zwischen internationaler Verantwortung und verfassungsmäßiger Zurückhaltung. Gerade im Jahr 2025, in einer Zeit globaler Unsicherheit, gewinnt Neutralität neue Aktualität – als Frage nach Identität, Sicherheit und Souveränität.

Die Bedeutung der immerwährenden Neutralität
Mit dem Staatsvertrag von 1955 erhielt Österreich seine staatliche Souveränität zurück und verpflichtete sich gesetzlich, keinem militärischen Bündnis beizutreten und keine ausländischen Truppen auf seinem Boden zuzulassen.

Artikel I des Neutralitätsgesetzes legt am 26. Oktober 1955 fest:

Zur Sicherung seiner Unabhängigkeit und zur Wahrung der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese Neutralität mit allen verfügbaren Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.

Somit war der 26. Oktober 1955 der erste Tag ohne ausländische Truppen. Der Nationalrat setzte die Neutralität noch am selben Tag rückwirkend als Verfassungsgesetz in Kraft. Der Staatsvertrag selbst war bereits am 15. Mai 1955 von den Außenministern der vier Besatzungsmächte und dem österreichischen Außenminister Leopold Figl unterzeichnet worden.

Neutralität als Verpflichtung und Option
Österreich ist durch Staatsvertrag und Verfassung zur Neutralität verpflichtet. Diese Bestimmung verbietet militärische Allianzen ebenso wie ausländische Militärbasen. Da Neutralität nicht zu den Grundprinzipien der Bundesverfassung zählt, könnte sie mit einer Zweidrittelmehrheit aufgehoben werden – eine Volksabstimmung wäre nicht erforderlich.

Neutralität in der Praxis
Seit 1995 ist Österreich Mitglied der Partnerschaft für den Frieden (PfP) und seit 1997 im Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat (EAPC). Es beteiligt sich an NATO-geführten Missionen unter UN-Mandat, etwa im Kosovo (KFOR). Trotz dieser Zusammenarbeit bleibt Österreich offiziell neutral. Ein NATO-Beitritt wird von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Die Neutralität gilt als zentraler Bestandteil der österreichischen Identität – besonders in Zeiten geopolitischer Spannungen.

Persönliche Nachschrift: Erinnerung als Verpflichtung.
Ich wurde in Istanbul in der Republik Türkei, einem NATO-Staat, geboren und lebe seit über drei Jahrzehnten in der neutralen Republik Österreich. Als Kind erlebte ich 1980 den Militärputsch in der Türkei, einen leider gerichtlich bestätigten, von den USA unterstützten bzw. delegierten Umsturz, der das Land nachhaltig veränderte.

Über die Erosion der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der Türkei und ihre transnationale Verstärkung

In der Türkei ist weit verbreitet die Auffassung, dass reaktionäre und fundamentalistische Bewegungen sowie sektenartige Strukturen durch die NATO und die Vereinigten Staaten aktiv unterstützt werden. Die einzige halbwegs säkulare und freiheitlich-demokratische Grundordnung, in der die Gewaltenteilung noch funktionierte, wurde bis heute durch undemokratische Mittel systematisch zerstört – angeblich im Namen von Demokratie und Freiheit. Es schmerzt …

Diese destruktiven Mechanismen wurden nicht nur in die Europäische Union exportiert, sondern dort auch institutionell gestärkt. Von dort aus gelangten sie in noch radikalisierter Form zurück in die Türkei. Trotz ihres jahrelangen Aufenthalts in EU-Staaten wie Deutschland oder Österreich scheint es, als hätten sie von den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung kaum etwas aufgenommen oder verstanden.

Es handelte sich um einen lang vorbereiteten Putsch als reaktionäre, fundamentalistische Konterrevolution gegen die moderne, säkulare und demokratische Rechtsstaatlichkeit, die seit der Gründung der modernen Türkei durch Atatürk existiert. Das Ziel war es, eine Ikhwan-Moslem-Bruderschaft zu installieren. Eine laizistische, souveräne Türkei, die das Bürgertum, die Freiheit und die parlamentarische Demokratie schätzte, war den mächtigen USA und ihren Verbündeten in der NATO ein Dorn im Auge, da sie dort nicht das tun konnten, was sie in abhängigen und erpressbaren Regimen tun konnten.

Ziel war es, die Demokratie auszuhöhlen und nur ausgewählte Mächte oder einen autoritären Führer als Ansprechpartner zuzulassen, um die Nahostregion – einschließlich des Iran – unter dem Vorwand eines „Light-Islams“, also eines politisierten Islams, zu kontrollieren. Die Menschen sollten nicht als Individuen, sondern als Anhänger fundamentalistischer Gruppen erscheinen und Befehle von Sektenführern oder politischen Akteuren ausführen, die sich im Namen Gottes über das Volk stellten und seine DNA diametral untergruben. Dies betraf das Tevhit-Gesetz, also die Vielgötterei bzw. den Götzendienst, bei dem das rationale Denken des Menschen ausgeschaltet wird, während Missbraucher der Religion Macht ausüben, zwischen Gott und den Menschen treten und ausbeuten – in allen Bereichen des Lebens.

Leider wollten die NATO und die USA genau diese Entwicklung in der Türkei. Menschen, die selbstständig denken, demokratisch gebildet sind und „Nein“ sagen könnten, waren ihnen ein Dorn im Auge. Betrachtet man die Türkei unter von 1923 bis 1980, wird dies verständlicher. Das Modell der modernen Türkei, das Einfluss auf Länder wie Ägypten, Iran, Afghanistan, Irak und sogar Saudi-Arabien hatte, wurde ab 1980 in eine andere Richtung gelenkt. Die aktuellen Bilder aus Iran, Afghanistan, Ägypten und anderen Ländern im Nahen Osten zeigen deutlich, was aus den damals zivilisierten, modernen Frauen und Männern geworden ist. All dies wurde durch Kolonialpraktiken und fremde Interventionen verursacht, ähnlich wie England über 400 Jahre lang Know-how in den Ländern implementierte, die es de facto kontrollierte.

Nach dem NATO Militärputsch vom 12. September 1980 wurde in der Türkei am 7. November 1982 eine neue Verfassung per Referendum eingeführt – mit einem nahezu einstimmigen „Ja“. Ein Weltrekord, der als Ausdruck eines autoritären Konsenses gelesen werden kann. Die neue Verfassung ersetzte die liberale Ordnung von 1961 und stärkte die Rolle des NATO-gestützten Militärs als Hüter der Staatsideologie.

Ihr ideologischer Hintergrund war die sogenannte „Türkisch-Islamische Synthese“ (Türk-İslam Sentezi), eine staatlich geförderte Leitidee, die türkischen Nationalismus mit arabisch geprägten islamischen Werten und Traditionen verband. Diese Synthese wurde gezielt als ideologisches Gegengewicht zur linken, säkularen Opposition etabliert. Der Begriff „türkischer Nationalismus“ wurde zur Farce – unter diesem Vorwand wurde die gesamte Türkei in einen arabisierten politischen Islam überführt.

Die neue Verfassung schränkte politische und gesellschaftliche Rechte massiv ein und verankerte ein autoritäres Staatsverständnis. Ziel war es, eine konservative, religiös grundierte Identität zu fördern, die unter dem Deckmantel der nationalen Einheit faktisch einen politischen Islam etablierte.

Die Türkisch-Islamische Synthese – de facto ein Projekt des politischen Islam – prägte nicht nur die Bildungspolitik und Medienlandschaft, sondern auch die juristische und gesellschaftliche Ordnung der 1980er Jahre. Ihre Auswirkungen sind bis heute in der Türkei und in Europa spürbar.

Der Militärputsch vom 12. September 1980 in der Türkei wird von kritischen Stimmen als geopolitisch eingebetteter „NATO-Putsch“ bezeichnet. Zwar existiert kein offizielles Dokument, das eine direkte Beteiligung der NATO-Staaten belegt, doch zahlreiche Analysen weisen auf eine stillschweigende Billigung und strategische Absicherung durch die USA hin. Die Türkei war zu dieser Zeit ein zentraler Pfeiler der NATO-Südflanke, und der Putsch diente der Stabilisierung eines antikommunistischen, prowestlichen Kurses. Die neue Verfassung von 1982 verankerte ein autoritäres Staatsverständnis und förderte die Türkisch-Islamische Synthese als ideologisches Gegengewicht zur linken und säkularen Opposition. Diese Entwicklung entsprach den Interessen westlicher Bündnispartner, insbesondere im Kontext des Kalten Krieges.

US-Dokumente zum Militärputsch in der Türkei 1980

Im Jahr 2011 veröffentlichte BBC Türkçe eine dreiteilige Artikelserie auf Grundlage des US-amerikanischen Informationsfreiheitsgesetzes (FOIA). Die freigegebenen Dokumente stammen aus dem US-Außenministerium und umfassen zehn diplomatische Schreiben, die zwischen dem 12. September und dem 5. November 1980 von den US-Vertretungen in Ankara, Istanbul und Izmir an das State Department in Washington sowie an andere Botschaften gesendet wurden.

Paul Henze und „Our boys have done it“

Besondere Aufmerksamkeit erhielt ein Bericht des damaligen CIA-Vertreters in Ankara, Paul Henze. Laut BBC informierte Henze den US-Präsidenten Jimmy Carter nach dem Putsch mit den Worten: „Our boys have done it.“ Diese Aussage wurde später durch freigegebene Dokumente bestätigt und gilt als Indiz für die enge Abstimmung zwischen US-Diensten und türkischem Militär.

NATO-Treue als Stabilitätsgarantie

In einem der freigegebenen Schreiben äußerte sich James Spain, damaliger US-Botschafter in Ankara, zur Haltung der Militärführung 1980:  

„Wir kennen alle derzeitigen Militärführer gut und haben insbesondere hinsichtlich der NATO-Mitgliedschaft keinen Grund zur Sorge, dass sich in der Sicherheits- oder Außenpolitik der Türkei etwas ändern könnte.“

Diese Einschätzung zeigt, dass die Loyalität zur NATO von Anfang an als stabilisierender Faktor gewertet wurde.

Nick Brauns, Friedensratschlag (2010):  

Der Putsch wird als „NATO-Putsch“ bezeichnet. Die USA und Deutschland hätten den Staatsstreich zu Beginn der neoliberalen Ära abgesichert.

WDR Zeitzeichen (2020):  

Der Westen habe den Machtwechsel begrüßt, um die Türkei als NATO-Mitglied zu stabilisieren.  

wiki7.org:  

Die 1970er Jahre werden als Stellvertreterkonflikt zwischen USA und UdSSR beschrieben. Das Militär habe gezielt Eskalation zugelassen, um einen Eingriffsgrund zu schaffen.

Der Putsch 1989 erfolgte im Kontext des Kalten Krieges, in dem die Türkei als NATO-Stützpunkt (z. B. Incirlik Air Base) eine strategische Rolle spielte.  Die neue Verfassung von 1982 und die ideologische Ausrichtung (Türkisch-Islamische Synthese sprich politischer Islam) dienten der Eindämmung linker und säkularer Bewegungen, was mit westlichen Interessen übereinstimmte.  Die USA hatten bereits beim Putsch von 1960 und 1971 Kenntnis und Einfluss, was auch für 1980 angenommen wird.

Realpolitik, Österreich und Neutralität

Bevor wir moderne Debatten über die österreichische Neutralität betrachten, lohnt ein Blick auf die Grundsätze der Realpolitik, wie sie Otto von Bismarck formulierte. Sie verdeutlichen, dass strategische Staatsführung auf nüchterner Analyse und langfristiger Sicherheit basiert – nicht auf Ideologie oder Emotionen.

Wie Bismarck sagte:

„Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.“  

„Präventivkriege sind wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.“  

„Man darf nie lügen, aber man braucht nicht alles zu sagen, was man weiß.“  

„Mit schlechten Gesetzen und guten Beamten lässt sich immer noch regieren. Bei schlechten Beamten aber helfen uns die besten Gesetze nichts.“  

„Die einzig gesunde Grundlage eines großen Staates ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik.“

Bismarcks Worte erinnern daran, dass Staatsführung auf Verantwortung und strategischem Denken beruht – auch für kleine und neutrale Staaten wie Österreich in einer Welt globaler Militärbündnisse.

USA-Kissinger: Mahner aus der Geschichte

Henry Kissinger sagte einmal: „Es kann gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein – aber es ist tödlich, Amerikas Freund zu sein.“

Dieses Zitat stammt von Henry Kissinger, der von 1973 bis 1977 US-Außenminister war.  

Seine Expertise in internationaler Diplomatie und strategischer Staatsführung macht seine Aussagen auch heute noch zu einem wichtigen Bezugspunkt für Analysen der globalen Sicherheitspolitik.

Wir hoffen, dass diese Warnung von Kissinger nicht Realität wird.

In einer Welt, in der Freundschaft mit Großmächten tödlicher sein kann als Feindschaft, bleibt Neutralität kein Rückzug – sondern ein Akt der Würde.

In diesem Sinne erinnern wir Kissinger nicht nur als Mahner, sondern liebevoll – und Amerika nicht als Schutzmacht, sondern als Prüfstein unserer eigenen Prinzipien in Österreich. ( Birol Kilic, Analysen und Beobachtungen aus Wien, 12.Oktober.2025)

Birol Kilic

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner