von DI Kilic Birol
für das Bundeskanzleramt und den österreichischen Bundespressedienst Austria Feature Service Untersuchung im Arbeitsjahr 1998

„Eine Tasse Kaffee gewinnt das Herz für vierzig Jahre“, sagt ein türkisches Sprichwort. Das Verstehen von Menschen beginnt mit gutem Zuhören und wo lässt es sich besser reden als bei einer Tasse dampfenden Kaffees? Wer auf eine Tasse Kaffee einlädt, nimmt sich Zeit für mich. Das ist die Besonderheit der österreichischen Kaffeehauskultur.

In der Innenstadt von Istanbul findet sich ein detailgetreu nachgebautes Wiener Kaffeehaus mit echtem Wiener Kaffee und frischen Wiener Mehlspeisen. Zum Milchkaffee sagen die trendigen jungen Türken bereits allgemein „Melange“. Der Wiener Kaffee ist in sein Ursprungsland zurückgekehrt.

Die Türken empfinden die österreichische Mentalität als ihnen nahestehend. Fleiß, Ehrlichkeit und Höflichkeit sind gemeinsame Tugenden und besonders letzteres hebt die Österreicher in den Augen der Türken wohltuend von den „trockeneren“ Deutschen ab. Österreicher werden als geduldig, flexibel und sensibel charakterisiert, außerdem als traditions- und kulturbewusst. Deutsch ist die zweite Fremdsprache nach Englisch und ermöglicht den Gebildeteren daher eine problemlose Kommunikation mit Österreichern. Trotz der gemeinsamen Sprache wird Österreich nie mit Deutschland verwechselt, sondern besitzt im Bewusstsein der Türken eine ganz eigenständige Identität. Es ist chic in Österreich den Urlaub zu verbringen, einen Wien-Trip zu unternehmen oder Ski zu fahren, und – wer es sich leisten kann – sein Kind in Österreich studieren zu lassen.

Die typischen Klischees haben auch vor den Türken nicht halt gemacht. Das Österreichbild ist im Wesentlichen geprägt von den kulturellen und touristischen Leistungen Österreichs und insbesondere der Hauptstadt. Legt man Türken ein Foto eines Wiener Kaffeehauses vor, ordnen fast 60 % das Sujet Österreich zu. 90 % verbinden eine Ballnacht mit Österreich und etwa 85 % denken bei der Aussage „Berühmt für seine Kultur“ an Österreich. 80 % erkennen sogar die Skyline des Kunsthistorischen Museums in Wien. Die Musik von Mozart und Strauß ist in der Türkei ebenfalls sehr bekannt und kann als der wichtigste Botschafter bis in alle Winkel des Landes angesehen werden. Nicht weniger bekannt ist Kaiserin Sisi, die nicht zuletzt aufgrund der Thematisierung im türkischen TV für emotionale Parteinahme und Identifikationen sorgt. Auch die in der Türkei nicht gekannte Bedeutsamkeit von Titeln und akademischen Graden wird unter anderem auf die Tradition von Hof und Adel zurückgeführt. Die daraus resultierende Höflichkeit und die verfeinerten Umgangsformen stehen den Türken jedoch sehr nahe.

Der freundschaftliche Kontakt kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Das Osmanische Reich und Österreich-Ungarn hatten viel gemeinsam. Beide waren ein Vielvölkerstaat und unterhielten intensive Beziehungen. Beide verloren nach dem Ersten Weltkrieg ihre Größe und ihren Einfluss und suchten nach einer neuen nationalen Identität.

Ende des 18. Jahrhunderts finden sich prominente Kooperationen, besonders auf dem Gebiet der Medizin und der Architektur. So entsteht 1839 in Istanbul die erste medizinische Hochschule nach dem Vorbild des Wiener Josephinismus auf Initiative österreichischer Ärzte. Zu dieser Zeit wurde auch der erste türkische Arzneikodex durch den Wiener Arzt Dr. Bernard herausgegeben. Seit 1830 besteht das österreichische Krankenhaus St. Georg in Istanbul. Ursprünglich für die christliche Kolonie konzipiert, erfüllt es heute durch die Betreuung und Behandlung von Armen und Bedürftigen einen wichtigen und verantwortungsvollen Bereich sozialer Arbeit. 1864 wird der Rote Halbmond von dem Wiener Arzt Dr. Karl Hammerschmiedt unter seinem neuen Namen Abdullah Bey gegründet. Derselbe ruft in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts auch das erste naturhistorische Museum in Istanbul ins Leben. Dazu leistet das Naturhistorische Museum in Wien mit zahlreichen Objekten einen großen Beitrag.

Im selben Jahrhundert beginnen österreichische Archäologen unter Leitung von Otto Berndorf mit den wissenschaftlichen Untersuchungen in Ephesos, die mit kriegsbedingten Unterbrechungen bis heute andauern. Die Resultate dieser Forschungen, Ausgrabungen und Restaurierungsarbeiten haben aus dem historischen Ephesos einen hervorragenden Studienort archäologischer Wissenschaft gemacht und den Fremdenverkehr bereichert. Auch die architektonisch gelungene Überdachung der Ausgrabungsstelle wurde von Österreichern entworfen. Im Jahre 1915 wird übrigens am Palandöken bei Erzurum der erste Schikurs für das Osmanische Heer von österreichischen Unteroffizieren durchgeführt. Ob Zufall oder nicht – Palandöken ist heute das wichtigste Schigebiet in der östlichen Türkei.

Ebenfalls in das Ende des 19. Jahrhunderts fällt die Gründung der österreichischen Schule St. Georg in Istanbul im Jahre 1882, die ursprünglich Kinder österreichischer und deutscher Kolonien unterrichtete. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges wird sie vor allem von türkischen Kindern besucht. Heute ist das St. Georgs-Kolleg eine der gefragtesten und beliebtesten Auslandsschulen in der Türkei.

Auch österreichische Künstler und Wissenschafter konnten ihre Spuren in der Türkei hinterlassen. So entstand zB während des Ersten Weltkrieges 1916 das erste Atatürk-Portrait vom Österreicher Wilhelm Krausz. Die Deutschmeister konzentrierten sich zwei Sommer hindurch im berühmten Pera-Palast. Mit der Universitätsreform 1933 und wegen der politischen und rassistischen Vertreibungen kommen eine Reihe von hervorragenden österreichischen Wissenschaftern und Künstlern in die Türkei. Bekannt ist vor allem der Architekt Clemens Holzmeister, der durch seine Bauten in Ankara (Parlament, Staatspräsidentenpalast, Regierungsviertel, österreichische Botschaft) und durch seine Lehrtätigkeit an der TU Istanbul bis 1951 zu Weltruhm gelangte. Eine Reihe hervorstechender türkischer Architekten entstammen seiner Schule. In den 60er Jahren lehrt der berühmte Vertreter der Wiener Schule des phantastischen Realismus, Anton Lehmden, an der Akademie für angewandte Kunst in Istanbul. 1963 wird das österreichische Kulturinstitut in Istanbul gegründet, womit der hohe Stellenwert der österreichischen Außenkulturpolitik gegenüber der Türkei zum Ausdruck gebrach wurde. Dieses Institut bietet von Musik über Ausstellungen bis zur Wissenschaft ein reichhaltiges Programm. Allein im Jahr 1995 wurden 108 Veranstaltungen an 63 Orten rund 160.000 Besuchern nahegebracht.

Mit der Umwandlung der türkischen Wirtschaft in eine Marktwirtschaft in den 80er Jahren wird die Türkei für österreichische Unternehmen zunehmend interessant. Es entwickeln sich bis heute andauernde Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern. Obwohl diese Beziehungen sich im Laufe der Zeit verstärkt haben, sind die Möglichkeiten noch immer nicht ausgeschöpft. In den letzten Jahren aber zeigt sich eine starke Tendenz, das Potential zu erkennen und Marktchancen wahrzunehmen.

Die größten Investoren in der Türkei stammen aus der EU, dabei spielt besonders Deutschland mit 200 Investitionsbewilligungen eine große Rolle. Das Gesamtvolumen an Investitionen Deutschlands in der Türkei lag 1995 bei 392 Mio. US$. Daneben sehen das in der Türkei gebundene österreichische Kapital mit 85 Mio. US$ und die elf Investitionsbewilligungen eher bescheiden aus. Eine österreichische Firma hat jedoch die größte ausländische Einzelinvestition in der Türkei verwirklicht. Mit der Beteiligung am Birecik-Wasserkraftwerk haben die Verbundplan und Strabag AG ein Beispiel gesetzt. Die Austrian Energy hat außerdem zwei neue Kraftwerkseinheiten in Cayirhan 120 km westlich von Ankara in Betrieb genommen.

In den letzten Jahren zeigt sich eine neue Tendenz in der türkischen Unternehmensführung. Bedingt durch bessere Ausbildung und durch Studienaufenthalte im Ausland, hat eine neue Managergeneration gelernt, dass kommunikatives Miteinander bessere Erfolge erzielt, als der autoritäre Führungsstil der älteren Generation. Diese jüngeren türkischen Manager sind hochmotiviert und streben nach Geschäftserfolgen. Die können besser mit westlichen Geschäftspartnern kommunizieren, sind mutiger, toleranter und entscheidungsfreudiger. Dies hat zu einer größeren Stabilität der türkischen Wirtschaft geführt.

Die Türkei bietet nicht nur einen großen Absatzmarkt, sondern stellt durch ihre geographische und strategische Lage als Brücke zwischen Europa und Asien einen wichtigen Partner dar, durch den sich für österreichische Unternehmen gut Geschäftsmöglichkeiten ergeben. Besonders infolge der Auflösung der Sowjetunion und der Bildung der neuen Republiken spielt die Türkei durch ihre geographische Nähe zu diesen Märkten und durch ihre engen Geschäftsbeziehungen mit den zentralasiatischen Ländern eine wichtige Rolle sowohl auf der politischen als auch auf der wirtschaftlichen Ebene in der Region.

Österreich wird in der Türkei als fortschrittliches EU-Land mit neutraler, stabiler Politik gesehen. Österreicher werden als tolerant und demokratisch empfunden und gelten als vertrauenswürdige Geschäftspartner.

Ebenso wie die Geschäftspartner gelten auch die österreichischen Touristen in der Türkei als freundliche und angenehme Gäste. Aber auch umgekehrt kommen Türken gerne nach Österreich für einen Kultur-Trip oder einen Ski-Urlaub. Etwa 40 % der Türken verbinden mit dem Wort „Winterurlaub“ eine Assoziation mit Österreich und 60 % ordnen Österreich den Stichworten „gutes Essen“ und „Restaurants“ zu. Aber auch die Gastfreundschaft der Österreicher wird besonders geschätzt. 70 % der türkischen Hochpreistouristen empfinden Österreich als „gastfreundlich zu Ausländern“.

Jeder Urlaub geht einmal zu Ende und was bleibt sind Erinnerungen an schöne Tage. Doch jetzt haben Istanbuler die Möglichkeit, ihre Erinnerungen frisch zu halten. Sie gehen in ihr neues Alt-Wiener Kaffeehaus und bestellen eine Wiener Melange zu frischen österreichischen Mehlspeisen. Bir fincan kahvenin kirk yil hatiri vardir – eine Tasse Kaffe gewinnt das Herz für vierzig Jahre… (B.K)

Birol Kilic

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