Historiker Ilber Ortayli: Hagia Sophia muss dringend saniert werden!

BIROL KILIC, WIEN

Der bekannte türkische Historiker Prof. Ilber Ortaylı, der in Bregenz geboren wurde, warnte aus Istanbul: „Der Besucherandrang in der Hagia Spohia ist heute unerträglich.” Nach der Umwandlung in eine Moschee kämen jetzt jährlich drei Millionen Menschen hierher, heißt es.

Die Analyse in der Zeitung Zürriyet mit dem Titel „Schützen wir die Hagia Sophia“ wurde in türkischer Sprache veröffentlicht.

Da wir von Wien aus, die Umwandlung der Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee scharf kritisiert haben, ist es uns wichtig, diese Warnung eines bedeutenden türkischen Historikers, des in Österreich geborenen und weltweit anerkannten Prof. Ilber Ortayli, in türkischer Sprache hier auch in deutscher Sprache wiederzugeben:

Schützen wir die Hagia Sophia!

Die Hagia Sophia ist keine Straße, durch die man mit der Hand winken kann. Denn die unterirdischen Kavernen, die Wasserwege zur Ableitung von Abwasser und Feuchtigkeit sowie das Belüftungssystem sind nicht stark genug, um so viele Besucher zu tragen.

Ich wiederhole diese Sätze nur, um Sie daran zu erinnern: Die Hagia Sophia ist der älteste Tempel der Menschheit, der noch in Gebrauch und in seiner ursprünglichen Struktur erhalten geblieben ist. Es gibt Kirchen, die älter als die Hagia Sophia sind und sich in Form und Volumen unterscheiden. Jedoch haben sie weder eine Vorreiterrolle in der Kunstgeschichte, noch sind sie in technischer Hinsicht mit der Hagia Sophia vergleichbar.

Einige Zeit nach dem Bau der Hagia Sophia kam es zu einem teilweisen Einsturz der Kuppel durch ein Zelt, dass repariert wurde. Die eigentliche große Restaurierung ist dem Architekten Sinan zu verdanken. Sinan war mit dieser Restaurierung so zufrieden, dass er die Kılıç Ali Pascha Moschee in Tophane nach dem Vorbild der Hagia Sophia baute.

DAS HÖCHSTE GEBÄUDE DES MITTELALTERS

Die Breite der Kuppel dieses technischen Wunderwerks ist geringer als die des Pantheon in Rom. Aber das Pantheon, dass wie ein halber Apfel auf einem Glas aussieht, stellt eine vertrautere Entwicklung der Statik dar. Die Hagia Sophia hingegen ist eine großartige zentrale Kuppel, die auf Säulen und Bögen gebaut ist. Diese Besonderheit machte sie während des gesamten Mittelalters zum höchsten Gebäude der Stadt, sodass die Pracht ihres Innenraums bis heute anhält. Im Narthex der Hagia Sophia sind zwei Kaiser zu sehen, die Jesus Christus kostbare Geschenke darbringen. Kaiser Konstantin übergibt ein Modell von Konstantinopel, also Istanbul. Kaiser Justinian übergibt ein Modell der Hagia Sophia.

Auch das sei hier erwähnt. Die Hagia Sophia ist das erste der Werke, die Istanbul, ein Naturwunder, in zweitausend Jahren in eine Stadt architektonischer Meisterwerke verwandelt haben. Das zweite ist das Werk von Mimar Sinan und seiner Schule. Justinian war ein wahrhaft gläubiger Christ. Die Taufe von Konstantin wird in der Geschichtsschreibung positiv dargestellt. Es gibt auch Gerüchte, dass er dem Arianismus anhing, der auf dem ersten von ihm einberufenen Konzil (Nizäa 325) verurteilt und exkommuniziert wurde oder dass er über Eusebius von Caesarea mit dem Arianismus sympathisierte. Sein Christentum muss ein Zeichen der Dankbarkeit für die Unterstützung und den Erfolg seiner christlichen Untertanen gewesen sein. Der eigentliche christliche Kaiser war Justinian, nachdem die Alte Kirche benannt wurde. Das muslimische Konstantinopel hat diesen schönen Ausdruck (göttliche Weisheit) nicht abgeschafft, da die Moschee immer noch diesen Namen trägt.

Die osmanischen Anbauten rund um die Moschee – Grabmäler, Fliesen und vier Minarette – sind spätere Ergänzungen. Weder außen noch innen gibt es Anbauten, die den ursprünglichen Zustand der Hagia Sophia überlagern würden. In dieser Hinsicht hat die Hagia Sophia in ganz Istanbul keine ähnlichen Verfolgungen erlitten, wie die Moschee in Kurtuba. Es ist wichtig, dies zu betonen.

Gegenwärtig werden die Minarette restauriert; das ist richtig. Jeder Einsturz, jeder Zusammenbruch, der durch Unachtsamkeit entstehen kann, wird auch das Bauwerk beschädigen. Deshalb wird es Stein für Stein wieder aufgebaut. Der Besucherandrang ist inakzeptabel. Man sagt, dass nach der Umwandlung in eine Moschee jährlich drei Millionen Menschen hierher kommen würden. In diesen vorhergesagten Zahlen sind die TouristInnen nicht enthalten.

Die unterirdischen Kavernen, die Wasserwege zur Ableitung von Abwasser und Feuchtigkeit sowie das Belüftungssystem sind nicht stark genug, um so viele BesucherInnen zu tragen. Das Ende der Kanäle unter der Hagia Sophia reicht bis zum Topkapı-Palast. Außerdem machte vor einiger Zeit die Verwaltung der Hagia Sophia Schwierigkeiten, die Kanäle zu betreten, obwohl das Forschungskomitee der Technischen Universität Istanbul eine Genehmigung hatte. Wir haben sie durch den Topkapi-Kanal hineingelassen. Es war sehr gut, dass die Karte der Kanäle rechtzeitig zur Verfügung stand. Prof. Dr. Hasan Fırat Diker, der schließlich ernannt wurde, hatte diese Skizzen gezeichnet.

Kurz gesagt, alle diese Kanäle müssen dringend überholt, gereinigt und restauriert werden. Dies ist auch ein kontinuierlicher Prozess für das Gebäude selbst. Die Hagia Sophia kann keine Einnahmequelle für die Generaldirektion der Museen sein. Ihre Restaurierung erfordert hohe Summen, die das Budget der Stiftungen übersteigen würden. Die Zahl der BesucherInnen erfordert dringende Maßnahmen. Selbst eine jährliche Besucherzahl von 20.000 bis 30.000 Personen, die sich aus WissenschaftlerInnen wie KunsthistorikerInnen, HistorikerInnen, ArchäologInnen, VertreterInnn der großen Religionen, Geistlichen der muslimischen Welt, Staatsmännern und BeamtInnen zusammensetzt, deren Zugang und Meinung für den Besuch dieses Ortes unerlässlich sind, kann es zur einer Überfüllung führen. Konzerte, Seminare und Konferenzen sollten in der Hagia Irene nicht stattfinden. Eigentlich sollte die Hagia Irene schon längst geschlossen und vollständig restauriert werden.

GEHEN WIR SORGSAM MIT DEM UM, WAS UNS DIE GESCHICHTE HINTERLASSEN HAT

Diese Artefakte sind Relikte, die die Geschichte Istanbul und den TürkInnen hinterlassen wurde. Mit diesen Relikten wird niemand zu uns kommen und uns helfen, der internationalen und menschlichen Geschichte zu dienen. Wir sind die Einzigen, die diese Aufgabe bewältigen können. Wir werden vielleicht nicht so sehr gelobt, aber wir werden die schärfste Kritik erfahren. In diesem Bewusstsein brauchen wir eine Ernsthaftigkeit und ein tiefes Wissen, dass der Politik von Mehmed dem Eroberer und Mimar Sinan würdig ist und nicht irgendeine übertriebene Show und trockenen Lärm.

Toiletten und Wasserhähne sind in der Hagia Sophia nicht alltäglich. Wasserspender wie große Brunnen können nicht installiert werden. Das Wasser, dass aus dem klassischen osmanischen Brunnen fließt ist nicht dasselbe wie das Wasser, dass in den heutigen Toiletten benutzt wird. Die Menschheit besucht die Hagia Sophia seit 1500 Jahren für eine kurze Besuchsdauer. Es ist nicht sinnvoll, die Toiletten der Hagia Sophia für die Defäkation zu benutzen. Wenn die BesucherInnen die Brunnen und Toiletten benutzen, wie soll das Abwassersystem unter dem Gebäude das verkraften? Das muss bedacht werden.

Links:

Einspruch für die Hagia Sophia

Warum die geplante Umwandlung des Weltkulturerbes in eine Moschee ein Sieg der Regierung gegen die säkulare Republik sein soll
https://kurier.at/meinung/einspruch-fuer-die-hagia-sophia/400955837

https://volksblatt.at/politik/aussenpolitik/widerstand-gegen-erdogan-plan-425066/

https://www.heute.at/s/austro-tuerken-wettern-gegen-moschee-in-hagia-sophia-100093553

https://www.yenivatan.at/krone-birol-kilic-gastkommentar-die-bruecken-um-die-hagia-sophia/

Birol Kilic

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