“Bevor es zu spät ist”: Wir trauern um den vorbildlichen Deutsch-Türken Mehmet Canbolat in Wien!
von Birol Kilic, Wien, 14.02.2024
In der EU und insbesondere in Deutschland und Österreich leben Millionen Menschen aus der Türkei. Einige von ihnen, wie der Journalist, Publizist und Schriftsteller Mehmet Canbolat, haben durch ihr beispielhaftes Leben, Wirken und Schaffen große Spuren hinterlassen.
Freunde in Deutschland, die ihn kannten, ob Deutschtürken oder Deutsche, trauern um ihn nach seinem plötzlichen Tod am 11. Februar 2024. Ich erlaube mir, die letzten kurzen türkischen Artikel, die der verstorbene Mehmet Canpolat am 10. Februar, also einen Tag vor seinem Tod am 11. Februar, in der Zeitung Toplum unter dem Titel “Bevor es zu spät ist” veröffentlicht hat, ins Deutsche zu übersetzen. Es sind starke Worte bzw. ein Weckruf an die gesamte Gesellschaft.
Bevor es zu spät ist
von Mehmet Canpolat, 10.02.2024,
Das Leben fließt so schnell…
Meistens schneller als das Wasser.
Das Leben und die Zeit sind grausam.
Sie nimmt uns vieles weg, oft ohne dass wir es merken…
Ja, ich glaube, dass das, was die Zeit und das Leben den Menschen antun, auch das Schicksal des sozialen Lebens ist, wenn auch in einer anderen Dimension. Natürlich kann man die meisten Hindernisse überwinden. Aber indem man sich etwas bewusst macht… Denn die Mehrheit der Gesellschaft schläft noch. Aber die Zeit hat so vieles abgeschliffen…
Sie hat so vieles aus dem Gefüge der Gesellschaft getilgt…
Wenn wir zurückblicken, werden wir sehen, dass das meiste schon weit hinter uns liegt.
Ich glaube, es ist fünf vor zwölf. Der Wecker klingelt.
Die Zeit vergeht schnell.
Es ist Zeit aufzuwachen…
Es ist Zeit zu begreifen.
Bevor es zu spät ist…
Bevor wir noch mehr vom Leben verlieren…
Bevor es zu spät ist… ( Mehmet Canpolat, 10.02.2024, Toplum)
Am Sonntag, dem 11. Februar 2024, war Mehmet Canbolat, der an einer Veranstaltung in Frankfurt teilgenommen hatte, auf dem Weg zu einer anderen Sitzung, als er einen Herzinfarkt erlitt und tot am Straßenrand aufgefunden wurde.
Das sind die Worte eines Deutschtürken, der sich um seine geliebte Türkei und sein geliebtes Deutschland sorgt. Es sind die Worte eines streitbaren Demokraten wie Mehmet Canpolat, der sich um die freiheitliche, plurale, demokratische und liberale Grundordnung in der Türkei und in Deutschland sorgt, der nachdenkt und warnt.
Manuel Schubert aus Langen, Deutschland, der in einem Nachrufartikel in der Zeitung op-online.de einen sachlichen Überblick über Canpolats Wirken in Deutschland gibt, macht eines deutlich: Wir haben plötzlich eine wichtige Persönlichkeit in Deutschland verloren, die eigentlich sehr viel Vorbildliches für Deutschland getan hat.
Manuel Schubert schreibt in seinem Nachruf in einem Artikel von op-online.de aus Langen folgendes:
” Mehmet Canbolat, Vorsitzender des Langener Ausländerbeirats, ist überraschend verstorben. Er initiierte die Städtepartnerschaft mit dem türkischen Tarsus und gab die hessisch-türkische Zeitung „Toplum“ heraus. Er war ein echtes Multitalent, ein leidenschaftlicher Kämpfer für Demokratie und Völkerverständigung, ein wichtiges Sprachrohr für die türkische Community im Rhein-Main-Gebiet – und allseits geschätzt für seine offene, hilfsbereite und humorvolle Art. Der Journalist Mehmet Canbolat, Vorsitzender des Langener Ausländerbeirats, ist am Sonntag im Alter von 66 Jahren unerwartet verstorben. Am Tag zuvor hatte er noch an der Demonstration gegen Rechtsextremismus auf dem Europaplatz in Dietzenbach teilgenommen. Der gebürtige Türke und langjährige Wahl-Langener machte sich einen Namen als Brückenbauer zwischen den Kulturen. Dies spiegelt sich in seinem gesamten Lebenslauf wider. Seit 1980 in Deutschland lebend, war es dem Buchautor, Verleger, Fernsehreporter und Moderator stets ein Anliegen, Menschen für das politische Geschehen zu interessieren. So gibt er seit 1993 die von ihm gegründete Zeitung Toplum” heraus, die in türkischer Sprache über Aktuelles aus Hessen informiert.
Bürgermeister Jan Werner: „Guter Freund und engagierter Mitbürger“
Canbolats plötzlicher Tod löste viele Reaktionen aus. „Mehmet war für uns alle ein großes Vorbild, sowohl in seinem Engagement für den Ausländerbeirat wie auch privat als Mensch und Freund. Wir werden ihn sehr vermissen“, schrieb der Langener Ausländerbeirat auf Facebook.
Laut Bürgermeister Jan Werner verliert die Stadt in Canbolat einen guten Freund und engagierten Mitbürger. „Er hat das politische, soziale und kulturelle Leben unserer Stadt mitbestimmt und mitgeprägt. Mit seiner Kompetenz, seiner Gradlinigkeit und seinem Eintreten für Völkerverständigung und Gerechtigkeit erwarb er sich breite Anerkennung und großes Vertrauen über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg“, sagte der Rathauschef. Die Stadt hatte Canbolat bereits 2009 für seinen Beitrag zur Völkerverständigung mit dem Kulturpreis ausgezeichnet. 2016 zog der Kreis nach und überreichte ihm den Deutschen Bürgerpreis für sein Lebenswerk.
Mit „großer Betroffenheit und Fassungslosigkeit“ reagierte der Kreisausländerbeirat auf die Todesnachricht. Der Verstorbene sei ein überzeugter Verfechter von Demokratie und Freiheit gewesen. „Canbolat war ein verlässlicher Partner und wichtiger Brückenbauer zwischen Ausländerbeiräten, Migrantenselbstorganisationen und Medien“, so der Vorsitzende Hüsamettin Eryilmaz.
„Wer in Hessen über Völkerverständigung und Integration redet, kommt an Mehmet Canbolat nicht vorbei. Seine guten Ideen und klugen Worte fanden auch im politischen Wiesbaden Gehör“, schrieb die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen (AGAH), die auf Canbolats Einladung zuletzt zweimal in Langen getagt hatte. Umtriebigkeit im besten Sinne des Wortes sei ein wesentlicher Charakterzug von ihm gewesen. „Nicht selten fragten wir uns, woher er all die dafür notwendige Zeit und Energie nahm. Ohne ihn wird es eine Leere geben, die vermutlich nie wieder gefüllt werden kann.“
Canbolats Ehefrau Ute schrieb am Dienstag bei Facebook zum Abschied: „Er hatte noch 1 000 Ideen im Kopf…“ Besser kann man seinen Charakter wohl kaum zusammenfassen.” ( Manuel Schubert, op-onlin.de)
Für die nächste Generation verdient Canbolat ein Denkmal
Der Artikel von Manuel Schubert regt zum Nachdenken darüber an, wie wichtig es ist, vorbildliche Menschen wie Deurtschtürk Mehmet Canbolat in ihrem Leben zu achten und zu unterstützen.
Deutschland, Österreich und andere EU-Länder brauchen Menschen wie Mehmet Canbolat mehr denn je. Canbolat verdient ein Denkmal, in welcher Form auch immer, damit die Gesellschaft ihn und sein konstruktives und menschliches Wirken und Schaffen nie vergisst und als Vorbild in die Zukunft trägt. Besonders für die nächste Generation verdient Canbolat ein Denkmal. Er ist der Mann der Vergangenheit für die Zukunft. Wir trauern um den vorbildlichen und denkmalwürdigen Menschen aus Deutschland um Mehmet Canbolat in Wien. (Birol Kilic, Türkische Allgemeine, Wien, 14.02.2024)
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