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OSZE im Abseits: Quo vadis, OSZE?

Permanenter Kongressort der OSCE im Festsaaltrakt der Wiener Hofburg (c) WIKIPEDIA
Leitartikel, Türkische Allgemeine, Wien, 20.02.2024


Ende dieser Woche, am 22. und 23. Februar, tagt in Wien die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Es werden 238 Parlamentarier aus 55 Staaten erwartet: Russland hat sich entschieden nicht mehr an der Versammlung teilzunehmen. Es wird erwartet, dass die Duma ihre Mitgliedschaft kündigt. Weißrussland könnte folgen. 

Die Zusammenarbeit der Regierungen in der OSZE mit Sitz in Wien manifestiert sich jeden Donnerstag in der Vollversammlung der 57 Botschafter einschließlich Russlands. Gemeinsame Beschlüsse gibt es seit Beginn des Krieges in der Ukraine, am 24. Februar, kaum mehr. Es gilt das Einstimmigkeitsprinzip, das auch bei der Aufnahme neuer OSZE-Mitglieder große Probleme bereitet. Einen gemeinsamen OSZE-Haushalt gibt es  im dritten Jahr nicht.

Mühsam einigte man sich auf Malta als das jährlich wechselndes Vorsitzland für 2024.

Die deutsche OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid, der Leiter des Warschauer Büros für Wahlbeobachtung und Menschenrechte, der Italiener Matteo Mecacci, der Hohe Kommissar für Minderheiten, der Kasache Kairat Abdrachmanow, und die Beauftragte für Medienfreiheit, die Portugiesin Teresa Ribeiro, wurden mit Mühe in ihren Amtszeiten um neun Monate, bis September dieses Jahres, verlängert.

Normal wären drei Jahre, aber darauf wollten sich die Russen nicht einlassen. Sie sind noch nicht ganz draußen. Allerdings spielen sie in der Rüstungskontrollpolitik schon seit 2008 nicht mehr voll mit. Inzwischen haben sie und die USA diverse Abkommen, wie „Open Skies“ zur Überwachung von Militärmanövern, im gegenseitigen Einvernehmen gekündigt. Zwar tagt noch jeden Mittwoch ein OSZE-Sicherheitsforum, das aber seit 2009 keine konkreten Ergebnisse mehr erzielt.

Eigentlich will Finnland im kommenden Jahr eine Geburtstagsfeier zum 50. Jahrestag der OSZE organisieren, die damals mit dem Namen „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit“ (KSZE) in Helsinki gegründet wurde. Es ist mehr als zweifelhaft, ob dies noch möglich sein wird.

12 Büros in Ländern wie Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Serbien und anderswo sollen seit dem Ende der jeweiligen Kriege der Demokratie Auftrieb geben und die Menschenrechte verankern. In Bosnien hat die OSZE kein Rezept gefunden, die Serben von ihrer Obstruktionspolitik gegenüber der Zentralregierung in Sarajevo abzubringen. Im Norden des Kosovo müssen NATO-Soldaten der KFOR für Ruhe sorgen. Die OSZE hat es seit 1999 leider nicht geschafft, Serben und Kosovo-Albaner zu einem gedeihlichen Zusammenleben zu bewegen.

Mit der russischen Invasion der gesamten Ukraine vor zwei Jahren brach die OSZE-Beobachtermission in der Ukraine zusammen. Sie war nach der Annexion der Krim, des Donbass und von Luhansk eingerichtet worden, um den angeblichen Waffenstillstand zu überwachen, mit Zustimmung der Russen. Drei lokale Mitarbeiter, die zu Beginn des Krieges 2022 in der Ostukraine waren, befinden sich noch immer in russischer Gefangenschaft.

In einer Koalition der Freiwilligen geben nun vor allem westliche Staaten Geld für Projekte wie Minenräumung, Cyberabwehr und ähnliches in der Ukraine aus. 75 lokale Kräfte sind mit Hilfe der OSZE in der Restukraine aktiv.

Bei der Parlamentarischen Versammlung Ende der Woche wird es auch darum gehen, so die österreichische Abgeordnete Gudrun Kugler, Österreichische Volkspartei (ÖVP), „Lösungsansätze zu finden, wie man wieder an die Idee der KSZE-Gründer anknüpfen kann“. Damals sei es um Menschenrechte, Anerkennung von Grenzen und wirtschaftliche Zusammenarbeit gegangen. Gerade heute bräuchten die geopolitischen Veränderungen eine Organisation wie die OSZE und ihre Parlamentarische Versammlung umso mehr.

Die Organisation OSZE selbst nimmt für sich in Anspruch, auch im Zentralkaukasus etwas bewegen zu können. Im vergangenen Jahr brachte Generalsekretärin Helga Schmid, die Umwelt- und Außenminister der Region, mit ihren westlichen Kollegen in Wien zusammen. Auf deutschen Vorschlag hin wurde ein Klimafonds eingerichtet. Deutschland ist mit 2,5 Millionen Euro bisher der einzige Einzahler. Warum beteiligen sich die anderen Länder nicht?

Das österreichische Außenministerium bezeichnet die Ankündigung Russlands nicht mehr in der Parlamentarischen Versammlung mitzuarbeiten als das Einreißen einer weiteren Brücke in einer Zeit, in der Brücken gebaut werden müssen. Wieder einmal dramatische Nachrichten aus der OSZE, wo man heute von einem bereits stattfindenden hybriden Dritten Weltkrieg spricht und den Ausbruch eines konventionellen Dritten Weltkrieges befürchtet.

Die Türkei und die OSZE

Die laizistische Republik Türkei wird von einer Regierung in Ankara geführt, welche die antidemokratischen Scharia-Gesetze befürwortet und die Demokratie in allen Lebensbereichen, vom Bildungsministerium in den Schulen bis zu den Urteilen des Verfassungsgerichts, mit Füßen tritt und den Rechtsstaat de facto zerstört. Die Regierung hat die Korruption zum Lebensstil erhoben und hat eine 524 km lange Grenze mit dem Iran, eine 378 km lange Grenze mit dem Irak und eine 877 km lange Grenze mit Syrien. All diese Grenzen sind für die Regierung in Ankara seit Jahren zu einem Sicherheitsrisiko geworden, an dem die moderne einheimische Bevölkerung mit den einheimischen und kommenden reaktionären Sekten in Angst und Schrecken versetzt wird und der kommende Tag X erwartet wird. Der Tag X, an dem die Demokratie und die laizistische Republik in der Türkei nicht nur de facto, wie jetzt, sondern auch de jure abgeschafft werden!

Ob es uns gefällt oder nicht, das Migrationsproblem kann nach Meinung von Experten nicht nur als humanitäres Problem behandelt werden. Vielmehr werden Migration und Einwanderung heute als Waffe in den internationalen Beziehungen eingesetzt. Das Konzept der „Massenmigrationswaffen“ hat längst Eingang in die wissenschaftliche Weltliteratur gefunden. Migration dient nicht in erster Linie dazu, Menschen in Not zu helfen. Im Rahmen bestimmter geopolitischer Projekte werden weltweit Massen von Migranten als Waffen eingesetzt und systematisch in andere Länder geschickt. Darüber hinaus erpressen Regierungen Migranten, um politische Macht und Geld zu erlangen. Laut Kelly Greenhill, einem der bekanntesten Experten auf diesem Gebiet, ist die Migrationswaffe in der jüngeren Geschichte keine Ausnahme: Zwischen 1951 und 2021 wurde sie mindestens 81-mal eingesetzt.

Das dürfen wir nicht vergessen. Die insgesamt 1.779 km lange Grenze ist im Wesentlichen ebenso wie die griechische und die bulgarische Grenze auch als EU-Grenze, an von der sehr viele irreguläre oder illegale Migranten gezielt in die Türkei gelenkt werden.

Die Türkei steckt in einem großen Sumpf, der dringend trockengelegt werden muss. Die Regierung in Ankara reagiert weiterhin mit Versprechungen, das 21. Jahrhundert werde das Jahrhundert der Türkei sein, was die Türkei im World Organised Crime Index 2023 auf Platz 1 in Europa und Platz 14 in der Welt bringt. Wir sehen heute, dass Migration und Einwanderung keine unschuldigen Themen sind. Die Anstiftung zur Massenmigration zielt entweder darauf ab, Geld zu erpressen, politische Vorteile zu erlangen, die demographische Struktur eines Landes zu verändern oder die Sicherheit des Landes zu gefährden. Westliche Regierungen wissen viel über diese Themen, auch wenn sie es nicht offen zugeben wollen, und in den OSZE-Berichten sieht man hier wenig, wenn es das größte Problem des 21. Jahrhunderts ist und bleiben wird.

Das sind erhebliche Sicherheitsrisiken für die Türkei und für die EU. Was tut die OSZE hier? In Bezug auf Iran, Syrien und Irak kann sie nichts tun, weil diese nicht Mitglied sind. Ex-Präsident Trump hat das Iran-Abkommen, das die EU unterstützt hat, aufgekündigt.

Zypern und die OSZE

Da ist die OSZE leider außen vor, genauso wie beim Zypernkonflikt, wo die OSZE nur sagen kann, wir können uns nur an den Konsens halten, den wir vor 50 Jahren vereinbart haben, mehr nicht.

Kosovo, Serbien und die OSZE

Ebenso im Kosovo-Serbien-Konflikt. Nicht nur die OSZE ist im Kosova in der Polizeiausbildung und Korruptionsprävention in den Seminaren aktiv. Das machen auch die EU und die Regierung in Kosova. Die Russen haben enormen Einfluss in Serbien und sehen Serbien als Selbstbedienungsladen, wo die serbische Regierung das sehr gut gegen die EU und die USA ausnutzt oder ausnutzen muss. Da braucht man die OSZE, aber die ist de facto außen vor.

Wer ist die OSZE? Selbstdefinition

„Mit ihren 57 Teilnehmerstaaten in Nordamerika, Europa und Asien ist die OSZE
die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – die größte regionale Sicherheitsorganisation der Welt. Durch politischen Dialog und praktische Arbeit setzt sich die OSZE für dauerhafte Stabilität, Frieden und Demokratie für mehr als eine Milliarde Menschen ein.

Die OSZE bietet ein Forum für den politischen Dialog über ein breites Spektrum von Sicherheitsfragen und eine Plattform für gemeinsames Handeln mit dem Ziel
die Lebensbedingungen von Menschen und Gemeinschaften zu verbessern.

Die OSZE trägt dazu bei, Gegensätze innerhalb und zwischen Staaten zu überbrücken und Vertrauen und Zusammenarbeit zu fördern, Vertrauen und Kooperation aufzubauen. Wo Instabilität herrscht, setzt sich die OSZE für Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Konfliktnachsorge ein.

Durch ihre Institutionen, ihre Fachabteilungen und ihr Netz von Feldoperationen befasst sich die OSZE mit Themen, die unsere gemeinsame Sicherheit betreffen, wie Rüstungskontrolle, Terrorismus, gute Regierungsführung, Energiesicherheit, Menschenhandel, Demokratisierung, Medienfreiheit und nationale Minderheiten“.

So die Selbstdefinition der OSZE, die in Wien an den schönsten und teuersten Adressen wie der glamourösen Hofburg und seit 2007 auch im eleganten Palais Pálffy in der Wallnerstraße (Hauptsitz) den Sitz des Generalsekretariats und der wichtigsten Gremien hat.

Qua vadis OSZE?

Wir haben das Gefühl, dass nach diesen Fakten, die wir über die OSZE beschrieben haben, auch nach dieser Selbstdefinition die OSZE überall ein Außenseiter ist.  Quo vadis OSZE?

Wir brauchen die OSZE mehr denn je

Das Bestehen der OSZE ist dringender denn je. Nachdem die Zahl der konventionellen und hybriden Kriege in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen ist und die nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, mit Tränen und viel Arbeit, aufgebauten festen oder halbwegs funktionierenden freiheitlichen, vielfältigen, liberal-demokratischen rechtsstaatlichen Grundstrukturen und ihre Errungenschaften nach so vielen Jahren vor unseren Augen zerstört werden , die EU und die OSZE leider Appeasement-Politik betreiben , brauchen wir die Plattform OSZE dennoch für die Zeit nach den Kriegen.

Sicherheit und Zusammenarbeit

 

Europa ist in vielerlei Hinsicht weder das Zentrum noch das Epizentrum der Welt. Aber es ist zweifellos eines der wichtigsten Museen für Barbarei und Zivilisation in der Geschichte der Menschheit der letzten 2500 Jahre.

Europa ist ein Museumskontinent, der durch Kriege, Massaker, Völkermord, Heuchelei, Machiavellismus, Ausbeutung und Koalitionismus mit viel Blut, Schmerz, Hass, Liebe, Tränen in den Augen, diktatorischem, reaktionärem, religiösem Faschismus, biologischem und kulturellem Rassismus selbst geschaffen und in die Welt exportiert wurde. Dies ist eine sehr traurige Erfahrung, die für die Zukunft der Menschheit und insbesondere für die Menschen, die in der EU leben, von großer Bedeutung ist.

Die „Europäische Union EU“ in Europa ist ein aus diesen Erfahrungen entstandenes Friedensprojekt, das gerade heute mehr denn je auf Sicherheit und Zusammenarbeit angewiesen ist. Daher kommt der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine enorme Bedeutung zu. Denn im 21. Jahrhundert verändern sich die Rahmenbedingungen rasant, es ist sehr schwierig, sich darauf einzustellen, und es steht viel auf dem Spiel.

Für den Frieden in Europa brauchen wir aus diesen 2500 Jahren europäischer Geschichte in vielfältigen, freiheitlich-demokratischen, rechtsstaatlichen Grundordnungen großartige, selbstbewusste, wahrhaft patriotische, aber nicht unter dem Vorwand des Patriotismus kulturrassistische, wehrhafte demokratische, visionäre, edle und tugendhafte PolitikerInnen und BürokratInnen und keine korrupten, parteisoldatischen, anstandslosen, makiavalistischen und erpressbaren.

Wir brauchen Frieden! Dazu brauchen wir wehrhafte und tugendhafte DemokratInnen. Wir brauchen Sie mehr denn je, die Sie mit edlem und tugendhaftem Rittergeist als Götzenzerstörer und Götzenbrecher für den Frieden eintreten.

Deshalb! Die drängenden Fragen

Deshalb müssen wir die Frage stellen: Ist die OSZE heute bloss eine   Stelle für selbstverliebte und hoch bezahlte DiplomatInnen und PolitikerInnen, die sich auf Kosten der SteuerzahlerInnen einen ausgedehnten Urlaub oder Wochenendausflug, in die schöne Kaiserstadt und Kulturmetropole Wien gönnen?

Die zweite dringende Frage, die wir uns in der „offenen Stadt Wien“, aus der auch Karl Popper stammt, der allerdings mit 35 Jahren ins Exil gehen musste (1937), in aller Freundschaft stellen müssen, lautet: Was muss getan werden, damit die OSZE nicht zu einer „Außer Spesen nichts gewesen“-Organisation wird? ( Türkische Allgemeine, Leitartikel, 20.02.2024)

Quellen: 

 

Andreas Günes

Redaktion, Türkische Allgemeine

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Andreas Günes

Redaktion, Türkische Allgemeine
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