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30 Jahre später noch einmal Solingen

Am Morgen des 25. März 2024 um 02.47 Uhr starben vier bulgarische Familien türkischer Herkunft, darunter zwei Kinder, bei einem Brandanschlag in Solingen.

Die folgende „Analyse“ und Beobachtungen des seit über vierzig Jahren in Köln lebenden und für zahlreiche Medien tätigen Journalisten Ahmet Özay wurden in den letzten Wochen in überregionalen Zeitungen in der Türkei veröffentlicht.

Die „Türkische Allgemeine“ hat diese in türkischer Sprache verfasste Analyse mit Genehmigung sinngemäß ins Deutsche übersetzt, um den deutschsprachigen Leserinnen und Leser einen Überblick darüber zu geben, wie der Brandanschlag von Solingen in der Türkei und in der türkischen Community in türkischer Sprache wahrgenommen wird.

Ahmet Özay, Analyse und Dokumentation aus Köln, 01.05.2024

30 Jahre später wieder Solingen

 

Seit 50 Jahren steht Solingen mit seinen Gabeln und Messern im Mittelpunkt der Herzen der türkischen Familien. Mit einem Brand nach dem anderen ist Solingen zu einer tiefen Wunde in den Herzen der türkischen Familien geworden.

Es handelt sich nicht um eine Messerwunde, sondern um eine Brandwunde.

Die grenzenlose Trauer führt uns heute untrennbar zusammen: Türken und Deutsche, Verwandte, Nachbarn, politisch Verantwortliche, mit den Worten, Brüder und Schwestern. Wir trauern um Saime Genç, Hülya Genç, Gülistan Öztürk, Hatice Genç und Gürsun İnce, fünf unschuldige Menschen, die einer heimtückischen Unmenschlichkeit zum Opfer fielen. Im ersten Artikel unseres Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.  Die Morde in Solingen waren keine zusammenhangslosen Einzeltaten, sondern das Ergebnis eines rechtsextremen Klimas“.

Mit diesen Worten wandte sich der von den Deutschtürken hoch geachtete und geschätzte Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 3. Juni 1993 in seiner Rede in der Kölner Zentralmoschee anlässlich der Gedenkfeier für die Opfer von Solingen, die zur Familie Genç gehörten, an die Trauergemeinde.

Dreißig Jahre sind seit diesen ernsten Worten vergangen. Bei allem Respekt: Hat unser geliebtes Deutschland mit seiner leidvollen Geschichte und seinen Erfahrungen etwas aus dem Brandanschlag von Solingen im Jahr 1993 gelernt?

Bei dem Brandanschlag in Solingen am 25. März 2024 wurde eine türkischstämmige bulgarische Familie aus dem EU-Land Bulgarien getötet. Im Zusammenhang mit dem Brandanschlag in Solingen hat die deutsche Polizei am 10.04.2024 Daniel S. als Tatverdächtigen für den Mord an vier Türken durch Brandstiftung benannt. Am 30.04.2024 wurde Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Der 39-jährige Daniel S., der während des Mordversuchs die Naziparole „Sieg Heil“ rief, muss sich als Tatverdächtiger wegen Mordes, versuchten Mordes und besonders schwerer Brandstiftung mit Todesfolge verantworten. Wir stehen vor einer neuen Tragödie mit mysteriösen Spuren in Solingen.

Dreißig Jahre sind seit der ersten großen Tragödie vergangen. Am Morgen des 25. März 2024 um 02.47 Uhr starben in Solingen 4 türkische Landsleute aus Bulgarien und 3 Türken wurden in einem Wohnhaus, in dem 10 Personen lebten, schwer verletzt. Die Familien, die in dem Gebäude verbrannten, verletzt wurden und deren Häuser beschädigt wurden, sowie der Eigentümer des Gebäudes arbeiten in der Baubranche. Das Gebäude gehört offiziell auch der Ehefrau eines türkischen Geschäftsmannes.

Als der Vorfall bekannt wurde, war der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, der erste Politiker, der von einer Tragödie sprach. Der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach, Çağatay Kılıç, Beauftragter für Außenpolitik im Präsidialamt der Republik Türkei, Ahmet Başar, Botschafter der Republik Türkei in Berlin, und Ali İhsan İzbul, Generalkonsul der Republik Türkei in Düsseldorf, unterstrichen mit ihren Beileidsbekundungen die dramatische Dimension der „Tragödie“.

Deutsch-Türkische Parlamentarier
in Deutschland

Der Brandanschlag hat sowohl in Bulgarien als auch in Deutschland und der Türkei Empörung ausgelöst. Der eigentliche Grund für die Empörung in Bulgarien waren nicht die Folgen des Brandes, sondern das Eingreifen der Türkei und die von der türkischen Presse verbreiteten Nachrichten über die Tragödie. Aus Sofia wurde eine Delegation nach Deutschland entsandt, um die bulgarischen Türken zu vertreten.

Zwei Tage nach dem Brand erklärte der zuständige Wuppertaler Staatsanwalt Heribert Kaune-Gerbart offiziell, dass es sich um „Brandstiftung“ handele und eine Mordkommission wurde eingerichtet.

Eine türkische Delegation der Bewegung für Rechte und Freiheiten (HÖH) aus Bulgarien, bestehend aus Ilhan Kucuk, Mitglied des Europäischen Parlaments, Halil Letifov, Mitglied des bulgarischen Parlaments, und Celal Faik, Vertreter des Mufti-Büros in Sofia, trafen in Solingen ein, um die Ermittlungen aufzunehmen und die Beerdigung zu organisieren.

Auf Initiative der türkischen Religionsgemeinschaft ( DITIB ) aus Köln wurden die Leichen mit einer Maschine der Turkish Airlines über Düsseldorf nach Istanbul überführt. An der Beerdigung nahm kein Diplomat teil, der Bulgarien in Deutschland vertritt. Nach den Trauergebeten wurden Ismail, Kiymet, Gizem und Elis Zhilov in dem von der türkischen Religionsbehörde organisierten Bestattungswagen in dem Dorf Köstek bei Plovdiv (Bulgarien) beigesetzt und dafür von Istanbul ca. 420 km weit überführt. Wie genau ist es zu sagen, dass sie begraben wurden? Denn von den beiden verbrannten Kleinkindern blieben nur zwei winzige leere Särge übrig.

Das alles geschah nur 24 Stunden nach der Beerdigung von vier Menschen, die beim Brand in Solingen ums Leben gekommen waren. Schock, Verzweiflung und Trauer waren groß… Während die Angehörigen auf dem Friedhof im bulgarischen Dorf Köstek und die Schwerverletzten in den Krankenhäusern lagen, ereignete sich am Freitagnachmittag, dem 5. April 2024, in der Stadt Solingen eine interessante Entwicklung.

Versuchter Abriss des Gebäudes

In dem ausgebrannten Haus in der Grünwalder Straße 69 in Solingen hatte eine türkische Baufirma mit verdächtigen „Aufräum- und Bauarbeiten“ begonnen.

In den Trümmern des Hauses, in denen die Erinnerung an den Feuertod noch lebendig war, wurden die Spuren der Tragödie der Brandnacht von einer türkischen Firma beseitigt. Die Nachricht von diesem Vorfall löste bei den Deutsch-Türken große Empörung aus. Ohne Zustimmung der Angehörigen und Anwälte der Opfer wurden persönliche Gegenstände, Dokumente, Geld und Gold in weißen Säcken in Container geworfen. Man drang in das Gebäude ein, indem man die Siegel entfernte und Gerüste errichtete, obwohl Wochenende war. Wären die Arbeiter nicht Türkisch sprechende Deutsch-Türken, wüsste man nicht, was vor sich geht.

Strafanzeige

 Adnan Menderes Erdal, der Anwalt der bei dem Brand schwer verletzten bulgarischen Türkin Ayşe Kostantinova, hat bei der Polizei Solingen Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch und Vernichtung von Beweisen für eine Brandstiftung erstattet. Die Anzeige wurde bis heute nicht beantwortet und die Baumaßnahmen, die die Substanz des Gebäudes verändern würden, wurden nicht verhindert.

Rechtsanwalt Erdal beauftragte sofort ein deutsches Ingenieurbüro mit der Erstellung eines Gutachtens über das Haus, in dem die Treppe komplett eingestürzt war.

Die Opfer hatten keine Fluchtmöglichkeit. Der einzige Ausweg war, um ihr Leben zu rennen und die Treppe zu erreichen. Doch die 16 Meter tiefe Holztreppe verschluckte die Familie in einem Flammenmeer. Bei dem „Dachboden“, auf dem die vier Türken verbrannten, handelte es sich nicht um ein Haus, sondern um einen „Dachspeicher“. Ein Speicher ist ein Gebäude, in dem (oft verderbliche) Waren gelagert werden. Schuld daran war nicht nur der Vermieter, sondern auch die Stadt Solingen, die die Vermietung genehmigt hatte. Möglicherweise wollte man sich durch den Eingriff in das Gebäude von seinem schlechten Gewissen und dem Gesetzesverstoß befreien.

Obwohl Staatsanwaltschaft und Stadtverwaltung den Abriss des Hauses genehmigt hatten, stellt sich die Frage: Mit welchem Recht? Denn in den Wohnungen befanden sich noch Ausweispapiere, Registrierungen, Geld und Gold, kurzum die persönlichen Gegenstände der Familie. Das Gutachten des Anwalts der Familie, in dem es heißt: „Das Gebäude kann unter diesen Umständen nicht abgerissen werden“, dokumentiert zumindest die herzlose Haltung der deutschen Behörden.

Mord verdächtiger wird festgenommen

 Fünfzehn Tage nach der Tat teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass ein 39-jähriger Deutscher als Täter festgenommen worden sei. Mitglieder der Mordkommission und Oberstaatsanwalt Heribert Kaune-Gerbart gaben in der Staatsanwaltschaft Wuppertal eine Pressekonferenz. Sie gaben bekannt, dass der Tatverdächtige, ein 39-jähriger Deutscher aus Solingen, auf frischer Tat ertappt wurde, als er einen deutschen Freund mit einem 40 Zentimeter langen Dolch töten wollte.

Der Staatsanwalt sagte, er habe während des Angriffs auf seinen schwer verletzten Freund die Naziparole „Sieg Heil“ gerufen.

Mit anderen Worten: Daniel S., der auf frischer Tat ertappt wurde, als er seinen Freund erstach, hatte auch das Haus einer türkischen Familie angezündet. Diese Aussage an sich enthielt schon viele Merkwürdigkeiten. Hier möchte man eine Antwort auf folgende Frage: Wenn der Verdächtige bekannt war, warum hat man ihn dann nicht in Gewahrsam genommen und ihn einen anderen Menschen abschlachten lassen? Die deutsche Öffentlichkeit und ein Teil der Presse bezeichneten den Brandstifter sofort mit sehr bedenklichen und falschen Adjektiven wie „Machetenmörder“, was impliziert, dass der Täter ein Araber oder Angehöriger einer anderen muslimischen Nation gewesen wäre, wo unterschwellig die „Täter-Opfer-Umkehrmethode“ verwendet wird.

Jetzt wird der Deutsche, der die Türken in Solingen verbrannte, als „Machetenmörder“ bezeichnet, obwohl bei diesem Brandanschlag keine Machete im Spiel war. Sehr traurig. Warum werden die Morde an der bulgarischen Familie mit türkischen Wurzeln verharmlost? Noch merkwürdiger ist, dass der Grund für die Verhaftung von Daniel S. am Anfang nicht Brandstiftung war, sondern versuchter Mord durch Verletzung eines Menschen. Jetzt ist es raus: Der 39-jährige Daniel S., der während des Mordversuchs die Naziparole „Sieg Heil“ rief, muss sich als Tatverdächtiger wegen Mordes, versuchten Mordes und besonders schwerer Brandstiftung mit Todesfolge verantworten. Wir stehen also vor einer neuen Tragödie mit rätselhaften Spuren in Solingen.

Wer ist der Brandstifter Daniel S.?

Daniel S. wohnte zur Miete im Haus eines deutsch-türkischen Unternehmers, das er in Brand setzte. Er hatte Probleme mit dem Vermieter und wurde rechtmäßig aus der Wohnung gekündigt.

Über den Bildungshintergrund von Daniel S., der während des Mordversuchs „Sieg Heil“ rief, liegen keine offiziellen Informationen vor. Er war in Solingen in der Technoszene aktiv, ein Deutscher mit „SS“- oder „Nazi“-Frisur. Sein Freund René A., den er mit einem Messer verletzte, ist Fan von Neonazi-Bands. Er war auch Nachbar einer Deutsch-Türkin, deren Haus in Solingen mit einem Molotow-Cocktail angezündet und deren Briefkasten mit einem Hakenkreuz beschmiert wurde. Warum der mutmaßliche Mörder das Haus angezündet hat, kann die Polizei offiziell nicht sagen. Der Leiter der Ermittlungskommission betont, dass es sich bei dem Verdächtigen „nicht um einen Drogendealer“ handelt. Er gibt Hinweise auf den Verdächtigen, indem er erklärt, sie hätten aus der Presse erfahren, dass er „dem Vermieter Miete schuldete“. Diese Hinweise lassen vermuten, dass die Ursache der Brandstiftung nicht im Privatleben des Verdächtigen, sondern auch in seinen sozialen Beziehungen zu suchen ist.

Überraschende Aussage

Während die deutschen Behörden davon ausgingen, dass die Brandstiftung von einem Einzeltäter aus persönlichen Gründen begangen worden sein könnte, trat drei Tage nach der Pressekonferenz am 13. April 2024 eine Zeugenaussage in den Vordergrund, die das gesamte Narrativ verändern sollte.

Ayşe (23), die in der Brandnacht mit ihrem Mann Nihat (26) und dem Baby Salih aus dem dritten Stock des Hauses 12 Meter in die Tiefe gesprungen war und sich dabei schwer verletzt hatte, gab in ihrer Aussage bei der Polizei an, wie das Haus in Brand gesetzt wurde. Die Aussage von Ayşe Kostadincheva wird in einem Kölner Krankenhaus in türkischer Sprache aufgenommen. Ayşe erzählt, was schriftlich dokumentiert wurde: „Wir wachten durch die Schreie unserer Cousins auf, die im oberen Stockwerk gestorben waren. Wir sahen den Rauch und wussten, dass es brannte. Wir öffneten die Schlafzimmertür. Wir rutschten aus und fielen in den kleinen Flur. Es war nass.“

Aus dieser Aussage geht hervor, dass, bevor die Holztreppe am Eingang des Gebäudes in Brand gesetzt wurde, brennbares Material unter die Wohnungstüren geschüttet wurde, eine nach der anderen. Dies widerlegt die These, dass das Gebäude aus Wut über den gekündigten und nun verhafteten Vermieter Daniel S. angezündet wurde. Es hat sich gezeigt, dass der Brandstifter Daniel S. den Brand nicht nur geplant hatte, um das Haus niederzubrennen, sondern auch, um die Bewohner einzeln zu ermorden. Auf dieser Grundlage haben die Anwälte nun eine zweite Strafanzeige vorbereitet.

Tragödie im Europäischen Parlament

Der Brandanschlag in Solingen und seine rätselhaften Folgen standen auf der Tagesordnung des bulgarischen Parlaments und des Europäischen Parlaments. Der türkischstämmige bulgarische Abgeordnete der Bewegung für Rechte und Freiheiten, Ilhan Kucuk, sagte bei der Sitzung in Straßburg zu dem Brand, bei dem vier unserer Landsleute ums Leben kamen: „Wir können nicht zulassen, dass das, was in Solingen passiert ist, im Dunkeln bleibt. Es ist zu befürchten, dass mit dem Abriss der Wohnungen begonnen wurde, bevor die Ermittlungen abgeschlossen waren, und dass versucht wurde, das Gebäude abzureißen. Dies lässt Zweifel an der Objektivität der Untersuchung aufkommen.“

Der türkischstämmige bulgarische Abgeordnete der Bewegung für Rechte und Freiheiten, Ilhan Kucuk.

 

Es ist das erste Mal, dass die Selbstverbrennung von Bürgern eines anderen europäischen Landes in einem europäischen Land in den Akten des Europäischen Parlaments verzeichnet ist und in die Geschichte eingeht.

Parlamentarische Delegation nach Solingen

Seda Gören Bölük, Abgeordnete der AK-Partei Istanbul, Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, kondolierte mit einer Delegation den Opfern von Solingen.

Am 25. März besuchte Seda Gören Bölük, Abgeordnete der AK-Partei, das Gebäude, das in Solingen in Brand gesteckt wurde, erhielt Informationen von Ali İhsan İzbul, Generalkonsul in Düsseldorf, und legte anschließend vor dem Gebäude Blumen nieder und betete im Gedenken an die Opfer.

Ort des Geschehens im abgebrannten Gebäude

Während des Besuchs der türkischen Delegation in Solingen traf Adnan Menderes Erdal, der Anwalt der Familie, mit zwei Pressevertretern vor dem Eintreffen der offiziellen Delegation am Tatort ein. Als sie am Tatort eintrafen, stellten sie fest, dass die Eingangstür des Gebäudes entfernt worden war und sich Arbeiter im Gebäude befanden. Adnan Menderes Erdal, der von Augenzeugen darüber informiert worden war, dass die Arbeiter im „Dachspreicher“, in dem vier unserer Mitbürger starben, körperlich eingriffen, kletterte auf das 16 Meter hohe Gerüst und fotografierte zusammen mit zwei Pressevertretern das verbrannte Innere des Gebäudes.

Als sie im vierten Stock auf dem Dach ankamen, sahen sie, dass die Arbeiter auf dem Gerüst an der Fassade des Gebäudes arbeiteten. Die linke und die obere Seite der beiden Lüftungsfenster im Dachgeschoss, in denen vier Menschen ums Leben gekommen waren, waren von den Arbeitern herausgeschnitten worden, um den Bau des Gebäudes zu behindern, und die Fenster waren mit Hilfe der Arbeiter, die sich nach dem Brand im Gebäude befanden, vergrößert worden.

Pressekonferenz von
Bundespräsident Steinmeier

Der zweite Brandanschlag in Solingen war auch Thema beim Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier in Ankara am 24. April.2024.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bundespräsidenten brachte Staatspräsident Erdoğan den Brandanschlag auf die Tagesordnung und sagte: „Wir haben bei einem ähnlichen Anschlag in Solingen vier unserer Brüder und Schwestern geopfert. Ich habe unsere Erwartung geteilt, dass dieser Vorfall vollständig aufgeklärt wird.“

In der Fragerunde der Pressekonferenz fragte ein türkischer Journalist Bundespräsident Steinmeier: „Die rassistischen Übergriffe auf türkischstämmige Bürger in Deutschland gehen weiter. Zuletzt kamen vier Türken bei einem Brandanschlag ums Leben. Unternimmt die Bundesregierung nichts gegen diese Übergriffe? Welche Maßnahmen werden Sie gegen rassistische Strukturen in Deutschland ergreifen?“

Bundespräsident Steinmeier antwortete auf diese Frage wie folgt: „Ich habe gesagt, dass mich der Vorfall, den Sie angesprochen haben, genauso erschüttert wie Sie. Der letzte Brandanschlag in Solingen ist etwas anderes. Am Jahrestag des Anschlags wurde in Solingen eine Rede gehalten. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sich nach einer so wirkungsvollen Veranstaltung so etwas wiederholen könnte. Leider hat es einen neuen Anschlag gegeben. Die deutschen Sicherheitskräfte und die deutsche Justiz werden die Täter zur Rechenschaft ziehen.“

„Wenn wir sagen, es ist vorbei, ist es nicht vorbei!“

Seit dem Brandanschlag auf neun Deutschtürken in Ludwigshafen im Jahr 2007 haben die Deutschtürken den deutschen Behörden immer wieder die Möglichkeit gegeben, ihre Fehler zu korrigieren. Die deutschen Behörden haben diese Haltung der Deutschtürken jedoch als Schwäche empfunden und ignoriert. Während die Deutschtürken in Deutschland versuchen, die Missverständnisse zwischen Deutschen und Türken abzubauen, indem sie ihren Schmerz heilen, schüren die deutschen Behörden durch ihr bewusstes Vorgehen Vorurteile und fördern das Anwachsen von Misstrauen. Während unserer Recherchen erreichte uns in letzter Minute eine Information. Wir haben erfahren, dass das von türkischen Familien niedergebrannte Haus am 9. November 2022 ebenfalls angezündet wurde. Der Tag, an dem das Haus vor zwei Jahren niedergebrannt wurde, ist auch der Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November 1938, dem Tag, an dem der Völkermord an den Juden begann.

Haben Sie schon einmal
ein Kind  verbrennen sehen?

Der erste Brandanschlag in Solingen im Jahr, bei dem fünf Deutsche türkischer Herkunft starben, war ein rassistischer Einschüchterungsversuch gegen die junge Solinger Familie, die in dem Haus wohnte.

Der letzte Brandanschlag am 25. März 2024 in Solingen war ein Massaker mit dem Ziel, die gesamte in dem Haus lebende türkische Familie zu vernichten. Unsere Beobachtungen und Hörungen am Ort des Geschehens in Solingen haben etwas Unglaubliches gezeigt: „Die Täter sind für diese Menschen keine gewöhnlichen Menschen. Sie sind keine Mörder, sondern heimtückische Dämonen unter uns!”

Eine wichtige Beobachtung und Erfahrung habe ich als einfacher Mensch nach dem ersten Solinger Brand jetzt wieder in Solingen und anderen Bränden in Deutschland gemacht, wo ich aus beruflichen Gründen als Berichterstatter war:  Wenn man nach einem tödlichen Brandanschlag in Deutschland vor dem Haus steht, gibt es einen großen Moment der Besinnung. Ein unverwechselbarer Brandgeruch, den man ein Leben lang nicht mehr los wird, brennt sich in die Seele ein. Dieser Geruch begleitet einen für den Rest des Lebens.

Jedes deutsch-türkische Kind, vor dessen Haus ich bei den Brandanschlägen in Mölln, in Solingen, in Ludwigshafen und wieder in Solingen gestanden habe, fordert uns auf, diese Frage zu stellen; Ob Polizei, ob Staatsanwaltschaft, ob Bürgermeister, ob PolitikerInnen sogenannter türkischer Herkunft in Deutschland, die nicht einmal zur Beerdigung von durch Brandanschläge ermordeten deutsch-türkischen Kindern kommen können, ist auch eines eurer Kinder verbrannt worden?

Wir müssen aufwachen, aufpassen und wachsam sein.

Für ein friedliches und rechtsstaatliches Deutschland, das mit keinem anderen Land vergleichbar ist und sein wird, wünschen sich die Deutsch-Türken die beste Lösung für die Zukunft. (Ahmet Özay, Köln, Analyse und Dokumentation Köln, 01.05.2024)

Info:
Ahmet Özay ist deutsch-türkischer Journalist und lebt seit über 40 Jahren in Köln. Seine journalistische Laufbahn begann er beim WDR Köln. Zwischen 1993 und 1995 berichtete er für die BBC und die DW über den Solingen-Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Er war Europa-Chefredakteur der Zeitung Sabah in Frankfurt und Leiter der Krim-Nachrichtenagentur in Kiew und arbeitet heute als freier Journalist für verschiedene Zeitungen im In- und Ausland.

Andreas Günes

Redaktion, Türkische Allgemeine

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Andreas Günes

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