1922: Anklänge an den türkischen Sieg in Österreich

Die Republik Türkei feiert am 29. Oktober 2023 ihr 100-jähriges Bestehen. Einst 500 Jahre mit Griechen, hoch und niedrig, aber gleichberechtigt auf allen Ebenen des Osmanischen Staates im heutigen Sinne, ob Finanzminister oder Botschafter, Minister oder Kanzler, war nach 1789 und vor allem durch die Aufhetzung, die Hetze Englands und Russlands vorbei. Heute sind Türken und Griechen Nachbarn, tragen die schmerzliche Verantwortung ihrer Geographie und wollen Freunde sein. Man kann die Geschichte nicht ungeschehen machen.  Wir sollten aus der Geschichte lernen und keine Feindschaften schüren.

Der Weg zur säkularen türkischen Republik war nicht einfach. Dies wird deutlich, wenn man das in Bregenz herausgegebene “Voralberger Tagesblatt” vom 13.09.1922 liest.

Herr Ismail Tosun(80), Autor mehrerer Bücher, Bankier und Absolvent der WU Wien (Welthandel) in den 60er Jahren, hat diesen Artikel vom 13.09.1922 gefunden, ins Türkische übersetzt und veröffentlicht. Wie schon mehrere Artikel in der Vergangenheit, wo wir mit ihm über den Neuen Welt Verlag das Buch “Rot Weiß Rot” in Wien in türkischer Sprache herausgegeben haben.Die deutsche Übersetzung des Buches mit zahlreichen Quellenbelegen, die Historikern, Politikern und Journalisten jetzt und in Zukunft nützlich sein können, wird 2024 erscheinen.

Wir geben hier den türkischen Artikel mit dem Titel “1922: Anklänge an den türkischen Sieg in Österreich” vom 21.09.2022 mit den Quellen weiter, damit wir aus der Geschichte lernen und Frieden für die Zukunft ohne die Geschichte zu verdunkeln bzw. Geschichtsklitterung oder eine “Fake History” zu konstruieren.

Türkische Allgemeine, Wien, 22.09.2023

 

 

Anklänge an den
türkischen Sieg in Österreich

von İsmail Tosun Saral [1], 21.09.2022

Ab dem 26. August 1922 entwickelte sich in kurzer Zeit die große türkische Offensive, und die türkische Armee vernichtete die von England angestachelte und unterstützte griechische Invasionsarmee und erreichte am 8. September 1922 die Tore der Stadt Izmir.

Die Zeitung von Bregenz, der Hauptstadt des westlichsten Bundeslandes von Vorarlberg, teilte ihren Lesern diesen Sieg in ihrer Ausgabe vom 7. September 1922 unter der Überschrift “Türkischer Sieg” wie folgt mit [2]:

Aus Bregenz"Türkischer Sieg", Bregenzer/Vorarlberger Tagblatt
Datum> 13.09 .1922, S.1

Am 9. September 1922 fügte die türkische Armee den griechischen Invasoren eine schwere Niederlage zu und marschierte in Izmir ein, womit die Verfolgungen, die seit dem 15. Mai 1919 in und um Istanbul stattgefunden hatten, ein Ende fanden.

Dieser große Sieg der türkischen Nation hatte Auswirkungen auf die ganze Welt und war auch eine wichtige Nachricht in den Wiener und lokalen österreichischen Zeitungen.   Auch die Zeitung der Stadt Bregenz berichtete über diesen Sieg und teilte ihn ihren Lesern unter der Überschrift “Türkischer Sieg” wie folgt mit [3].

“In Kleinasien geht ein Drama zu Ende, das für ganz Europa und besonders für uns Österreicher deutscher Abstammung sehr wichtige Folgen haben wird, denn die von England unterstützten Griechen sind von den Türken vernichtet und besiegt worden.  Was bedeutet dieser türkische Sieg, der ganz Europa durch seinen Mut und seine Schnelligkeit überrascht hat? Zunächst einmal bedeutet er den gewaltsamen Sturz des Vertrags von Sèvres, der offiziell ein Todesurteil für die Türken war.

Einer der fünf Friedensverträge, die den Zweiten Weltkrieg beendeten, ist so zerrüttet, dass nicht einmal einer seiner Garanten es wagt, ihn wieder in Kraft zu setzen.

   

Die Garanten versuchen nur, ihre Interessen zu verteidigen und die Beute der Verträge zu retten. Das Beispiel des Friedensvertrages von Sèvres zeigt, dass gemeinsame Friedensverträge keine auf Dauer angelegten Interessengemeinschaften sind, sondern nur konjunkturelle Gemeinschaften vermeintlicher oder tatsächlicher gemeinsamer Interessen des Augenblicks. Und je länger diese dauern, desto mehr trägt der Friedensvertrag den Charakter eines Kompromisses. Je mehr Zugeständnisse ein Vertrag enthält, desto mehr Probleme enthält er. Nicht Schwüre und Vertragsbestimmungen geben der Weltpolitik Richtung und Sinn, sondern die Interessen der Völker. Diese diktieren unweigerlich, niemand hält sich daran. Es lohnt sich, auch daran zu denken. Was im Osten geschieht, ist symptomatisch.

Die Bestimmungen von Verträgen gewinnen an Wert und Bedeutung, wenn die Interessen, die sie geschaffen haben, nicht mehr übereinstimmen und in Konflikt geraten.

Der ungerechte und für die Türkei verheerende Vertrag von Sèvres nach dem Ersten Weltkrieg gehört der Vergangenheit an; niemand wird ihn wieder in Kraft setzen können. Mit ihm zerbrach der Grundstein des “Friedensgebäudes”, das die Entente nach der Niederlage der Alliierten errichtet hatte. Aber nur Narren und Träumer können glauben, dass das ganze Gebäude einstürzen wird oder kann. Die Voraussetzungen für den türkischen Befreiungskrieg waren, selbst unter den für uns Deutschen günstigsten Bedingungen, von anderer Art als je zuvor. Kein vernünftiger und verantwortungsbewußter Politiker kann behaupten, der Weg, den die Regierung in Ankara mit dem Bruch des Vertrages von Sèvres eingeschlagen hat, sei ein leichter gewesen. Aber von der nationalen Opferbereitschaft der Türken, von ihrem unerschütterlichen Glauben an ihr Land und ihre Zukunft, von ihrer selbstverständlichen nationalen Einheit und Solidarität können wir für unsere nationale Wiedergeburt viel von Österreich und Deutschland lernen. Dies sind zweifellos die grundlegendsten Voraussetzungen für jede nationale Wiedergeburt. Ohne diese Tugenden kann ein Volk nicht hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

Die praktische politische Bedeutung des türkischen Sieges und der griechischen Niederlage liegt auf einem anderen Gebiet und in den Details. Der türkische Sieg ist ein französischer Sieg, die griechische Niederlage eine englische Niederlage. Denn während England die Griechen ermutigte, anstachelte und unterstützte, stand Frankreich hinter der Regierung in Ankara. Großbritannien ist keine ganze europäische Macht, sondern eine halbe europäische Macht. Die wahre Macht des britischen Empire liegt nicht in Europa, sondern in seinen überseeischen Besitzungen, vor allem in Indien mit seinen 500 Millionen Einwohnern und seinen unerschöpflichen Reichtümern. Wegen Indien standen sich England und Frankreich in Fashoda [4] gegenüber. Um Indien zu halten, hetzten die Engländer die Griechen gegen die Türkei und die Kemalisten auf. Ein französisches Kleinasien und ein französischer Naher Osten unter französischem Einfluss, wie es einst das französische Ägypten war, stellten eine ständige Bedrohung auf dem Weg nach Indien dar. Deshalb war es jahrhundertelang die traditionelle Politik Großbritanniens, eine uneingeschränkte Freundschaft mit der Türkei zu pflegen.

Bis die Russen von Norden her auf Konstantinopel vorrückten, war die Türkei für Großbritannien und für anerkannte und kluge Politiker vieler Staaten von offensichtlichem Interesse. Großbritannien befahl den Russen, an der Catalca-Linie Halt zu machen.

Die Besuche des deutschen Kaisers in Kleinasien und im Nahen Osten, der Bau der Bagdadbahn und die Bemühungen Deutschlands, in die britische Interessensphäre im Orient einzudringen, trugen dazu bei, britisches Misstrauen zu wecken und die deutsch-britischen Spannungen zu verschärfen.

Großbritannien wollte nicht zulassen, dass irgendjemand Hand an Bab-ı Âlî in Istanbul, dem Machtzentrum der Regierung, dem Tor nach Indien, legte. Auch Frankreich wollte diese britische Haltung nicht dulden. Die französischen Besitzungen in Syrien und die französischen Ambitionen im Hedschas hatten bereits zu zahlreichen Streitigkeiten zwischen den Alliierten geführt. Diese Streitigkeiten sollten sich zu offenen Interessenkriegen entwickeln. Was von den europapolitischen Auseinandersetzungen im Rahmen der Entente Cordiale [5] übrig geblieben war, drohte in Kleinasien alles zu zerstören.

Mit der Rückeroberung von Izmir erreichte Kemal Pascha eine wichtige Etappe seines Feldzuges mit einer schnellen Folge von Siegen. Er erreichte Bandirma an der Ägäisküste im Süden und das Marmarameer im Norden. Auch der taktische Angriff auf Uşak, einen griechischen Vorposten östlich von Afyonkarahisar, Ende August verriet nicht die großen strategischen Absichten Kemals.

Am 27. August startete die türkische Südarmee einen überraschenden Generalangriff. Am 28. August fiel Afyonkarahisar. Am 29. August stieß die Nordflanke vor und erreichte innerhalb von fünf Tagen Eskisehir.

Danach wurden Bursa und Bandirma befreit. Als Kemal Pascha am 9. September triumphierend in Izmir einzog, verband eine Eisenbahnlinie von Eskişehir und Uşak im Süden die griechische Armee mit Smyrna. Die Demoralisierung der Griechen ebnete den Türken zweifellos den Weg. Dennoch ist der türkische Erfolg nicht zu leugnen. Aber in einer ernsten Situation sind die moralischen Qualitäten des Gegners zweifellos der entscheidende Faktor im strategischen Kalkül.

Die türkische Kavallerie leistete hervorragende Arbeit, aber auch die nachrückende Infanterie und Artillerie erreichten rechtzeitig ihre Ziele, um den Sieg zu vollenden. Hinzu kam, dass der türkische Staatschef Atatürk stets bei den Truppen an der Front war. So legte die türkische Armee in nur zwölf Tagen rund 320 Kilometer zurück, eine Leistung, die allgemeine Anerkennung verdient. Das französische Material hat dem Sieger geholfen, die Deutschen haben diese Anerkennung verwischt. Aber wir müssen anerkennen, dass ein geknebeltes Volk, das von den Griechen mit englischer Unterstützung niedergemetzelt wurde, ohne seinen nationalen Willen und seinen Kampfgeist zu verlieren, sich mit dem Teufel verbündet hat, um seine Ketten zu sprengen [6].

Dies ist die türkische Übersetzung des Artikels  (hier noch einmal ins Deutsche übersetzt) aus dem Vorarlberger Tagblatt vom 13. September 1922. Wir sind unseren heldenhaften Märtyrern, die ihr Leben für die türkische Unabhängigkeit und Freiheit geopfert haben, unseren Veteranen und unserem Oberbefehlshaber Mustafa Kemal Atatürk dankbar. Dank ihnen weht unsere Fahne am freien Horizont. In ihrem Schatten leben wir in Frieden. Frieden in der Heimat. Frieden in der Welt. Das wollen wir. Für immer. (Ismail Tosun Saral, 15.09.2023, Ankara)

Quellen

[1] İş-Bankdirektor i.R., wissenschaftlicher Autor, Präsident der Türkisch-Ungarischen Freundschaftsgesellschaft, Ritter von Ungarn

[2] Bregenzer/Vorarlberger Tagblatt, 7.9.1922,S.3, Der türkische Sieg. ( Als Kurzmeldung)

[3] Bregenzer/Vorarlberger Tagblatt, 13.9.1922,S.1, Der türkische Sieg. ( Länger-Bericht Analyse)

[4] Der Fashoda-Zwischenfall (Fashoda-Krise) war die internationale Krise, die Frankreich und Großbritannien 1898 in der Stadt Fashoda, dem heutigen Kodok, im Südsudan auslösten, während der Zeit des Ansturms auf Afrika, als die westeuropäischen Staaten nach der Berliner Konferenz um die Kolonisierung des gesamten afrikanischen Kontinents konkurrierten.

[5] Vertrag, der am 8. April 1904 zwischen Großbritannien und Frankreich angesichts der deutschen Bedrohung unterzeichnet wurde. Auch bekannt als Freundschaftsvertrag zwischen Großbritannien und Frankreich.

[6] Der Teufel bezieht sich auf den Vertrag mit den Bolschewiki. Ein Mann in Not klammert sich an eine Sc

PS: “Die italienische Zeitung “Corriere della Sera” teilt ihren Lesern unter Berufung auf den Bericht der türkischen Armee vom Montag, den 4. September 1922 mit, dass die türkischen Truppen von Norden her bis auf 90 Kilometer an das von den Griechen besetzte Hauptquartier in Izmir, wo sie die Türken niedergemetzelt haben, herangekommen sind, dass in Eskişehir 5.000 Gefangene und 300 Kanonen erbeutet wurden, dass in Uşak 12. 000 Gefangene und in Afyonkarahisar 5.000 Gefangene gemacht worden seien, dass die 3. türkische Armee Izmir eingeschlossen habe und dass der Oberbefehlshaber der griechischen Armee abgelöst worden sei.

Andererseits wurde in den Nachrichten, die Rotterdam am 5. September 1922 aus London erreichten, berichtet, dass es in der griechischen Vaterlandsarmee eine Meuterei gegeben habe, dass in Larissa ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet worden sei, dass der griechische Generalstab in Athen die Fortsetzung des Krieges befürworte, da er glaube, dass der türkische Vormarsch bei Bursa gestoppt werde, und dass Venizalos, der nach Athen gekommen sei, sich für die Fortsetzung des Krieges bis zu einem ehrenhaften Waffenstillstand ausgesprochen habe.

Andererseits berichtete die Times vom 5.9.1922, dass die griechische Regierung endgültig bestätigt habe, dass sie die Verteidigung Anatoliens aufgegeben habe, und dass die griechische Regierung Verhandlungen mit den Vertretern der alliierten Regierungen in Athen aufgenommen habe, um den Rückzug ihrer Armee aus Kleinasien mit möglichst geringen Verlusten zu organisieren. Der Alliierte Hochkommissar in Istanbul tritt zusammen, um Maßnahmen zur Evakuierung Kleinasiens und zum Schutz der christlichen Minderheiten zu erörtern”.

 

 

Andreas Günes

Journalist

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